TV-Tipp: "Tatort: Schweigen"

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1. Dezember, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Schweigen"
Zu einem wichtigen Krimi wird "Schweigen" als das Titelthema ins Zentrum rückt: Kommisar Falke, ohnehin kein religiöser Mensch, versteht nicht, warum Ottos Kollegen getreu der vom Vikar formulierten Devise "Niemand ist frei von Sünde" das verbrecherische Treiben so lange gedeckt haben.

Was in Broschüren gern neudeutsch "Retreat" genannt wird, ist nichts anderes als ein Rückzug aus dem Stress des Alltags in eine Umgebung ohne digitale Medien oder andere störende Einflüsse. Mitunter erfolgt eine derartige kleine Flucht nicht ganz freiwillig: Nach der Ermordung seiner Partnerin ("Was bleibt", ausgestrahlt im Januar) hat Bundespolizist Thorsten Falke einige Wochen in klösterlicher Abgeschiedenheit verbracht. Erfahrungsgemäß ist die Ruhe jedoch nicht von Dauer, wenn sich TV-Kommissare eine Auszeit nehmen: Ausgerechnet der Mann, der ihm am Tag vor der Abreise eine Bescheinigung für den Arbeitgeber ausstellen sollte, kommt beim Brand seines Wohnwagens ums Leben.

Als Falke (Wotan Wilke Möhring) im Arbeitszimmers des Geistlichen nach dem Formular sucht, entdeckt er eine verschlossene Tür, die seine Neugier weckt. Eine verborgene Treppe führt zu einem geheimen Kellerversteck, in dem er ein umfangreiches Medienarchiv samt Dia- und Filmprojektoren findet. Der Inhalt der Aufnahmen schockiert selbst den  hartgesottenen Hauptkommissar: Pfarrer Wigald Otto (Hannes Hellmann) war doch nicht der gute Mensch, für den ihn alle gehalten haben.

Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Umfeld der katholischen wie auch der evangelischen Kirche ist eins der düstersten Kapitel der jüngeren Religionsgeschichte, war aber erstaunlicherweise noch nie "Tatort"-Thema. Als Falke einen Durchsuchungsbeschluss anfordert, weil ihm der Generalvikar (Sebastian Blomberg) den Zugang zu Ottos Personalakte verwehrt, klingt seine Schilderung des Sachverhalts, als habe er es mit einem Mafia-Clan zu tun. Tatsächlich entpuppen sich die Verbrechen, die über viele Jahre hinweg begangen worden sind, als organisierte Kriminalität.

Zunächst gelten die Ermittlungen jedoch einer ganz profanen Mördersuche: Otto starb allem Anschein nach in Folge von Brandstiftung, und der Hauptverdächtige ist ausgerechnet ein Mann, mit dem sich Falke während seiner Kontemplation im Kloster St. Joseph angefreundet hat. Am letzten gemeinsamen Abend haben die beiden Männer feuchtfröhlich Abschied gefeiert, Daniel (Florian Lukas) hat daher das beste Alibi, das man haben kann, aber er hat den Schnaps besser vertragen als der Kommissar und war tatsächlich im Wohnwagen, wie ein DNS-Abgleich belegt.

Es sieht nicht gut aus, zumal er ein klares Motiv hat: Unter den Fotos im Archiv sind Aufnahmen, die Otto 1989 im Rahmen einer Messdienerfreizeit auch von ihm gemacht hat. Das Sujet ist naturgemäß bedrückend, und je tiefer sich Falke in den Fall einarbeitet, desto grausiger werden die Abgründe, die sich auftun. Stefan Dähnert, der sich nicht zuletzt durch einen aktuellen Fall aus dem Bistum Trier inspirieren ließ, ergänzt die Geschichte zudem um eine familiäre Ebene.

Falke ist offiziell zunächst noch außer Dienst, die Ermittlungen werden von einer örtlichen Kripo-Kollegin geleitet. Natürlich bietet er Eva Pötter (Lena Lauzemis) seine Hilfe an. Dank seiner Einblicke bekommt er schließlich mit, dass die Kommissarin befangen ist. Der frühere Dorfpfarrer war viele Jahre als Missionar unterwegs, betreut seit seiner Rückkehr vor einigen Monaten eine Jugendfußballmannschaft und hat Pötters Sohn Lukas (Jakob Kraume) zum Mittelstürmer gemacht.

Der Bundespolizist entdeckt, dass die Kollegin Bilder ihres Sohnes unterschlagen hat; und dann stellt sich raus, dass Lukas ebenfalls zur Tatzeit im Wohnwagen war. Endgültig zu einem wichtigen Krimi wird "Schweigen" als Dähnert das Titelthema ins Zentrum rückt: Falke, ohnehin kein religiöser Mensch, versteht nicht, warum Ottos Kollegen getreu der vom Vikar formulierten Devise "Niemand ist frei von Sünde" das verbrecherische Treiben so lange gedeckt haben.

Der Polizist ist überzeugt, dass der Pfarrer einen mächtigen Fürsprecher hatte. Seine anfängliche Fassungslosigkeit wandelt sich in einen gerechten Zorn, dem er schließlich in einer regelrechten Predigt freien Lauf lässt. Der zwanzigste "Tatort" mit Wotan Wilke Möhring, behutsam inszeniert vom mit allen wichtigen Film- und Fernsehpreisen ausgezeichneten Regisseur Lars Kraume, bietet dem Hauptdarsteller ohnehin eine Menge emotionales Spielmaterial

Der Schock des Todes von Julia Grosz steckt Falke nach wie vor in den Knochen. Ähnlich eindrucksvoll ist Florian Lukas, der sehr nachvollziehbar vermittelt, warum Missbrauchsopfer ein Leben lang unter dem Trauma leiden. Großen Anteil an der authentischen Atmosphäre hat auch der Schauplatz: Der Film ist im leerstehenden, aber noch komplett eingerichteten Trappisten-Kloster Mariawald im Eifelort Heimbach gedreht worden.