Das Drehbuch stammte von ihrem "Stammautor" Uli Brée, ohnehin ein Garant für bissige Dialoge, Regie führte Dirk Kummer. Nun hat sich das Trio erneut gefunden. Der lakonische Titel lässt ein ähnliches Werk erwarten, aber "Ungeschminkt" ist kein bisschen lustig. Das Drama erzählt die Geschichte von Josefa Bergmann, die einst Josef hieß und nach 35 Jahren in ihr oberbayerisches Heimatdorf zurückkehrt. Seit der Flucht hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie. Umso größer ist die Überraschung, als sie eines Tages erfährt, dass ihre Mutter sie zur Alleinerbin bestimmt hat; der Vater ist bereits vor zehn Jahren gestorben. Ihre bangen Erwartungen werden bereits bei der ersten Begegnung erfüllt: Als die Besitzerin des Wirtshauses hört, dass es sich bei Josefa um den Sepp aus gemeinsamen Jugendjahren handelt, entgleisen ihr prompt die Gesichtszüge; und natürlich macht die Kunde die Runde.
Wie alle tragischen Stoffe hätte sich auch "Ungeschminkt" als Komödie erzählen lassen, aber dafür war den Verantwortlichen das Thema womöglich zu wichtig oder vielleicht auch zu brisant, wie schon der Auftakt verdeutlicht: Josefa steht einer Freundin bei, die nicht zum ersten Mal die Erfahrung gemacht hat, wie niedrig die Toleranzschwelle mancher Menschen ist. Später werden Brée und Kummer beiläufig einstreuen, dass Josefa in München Schirmherrin einer Transgender-Beratungsstelle ist. Noch später wird klar, dass auch ihr Vater alles abgelehnt hat, was nicht der vermeintlichen Norm entspricht. Eine entsprechende Szene häuslicher Gewalt ist so unangenehm realistisch gefilmt, dass sie nur schwer auszuhalten ist.
All’ das liegt sowohl filmisch wie auch zeitlich jedoch zunächst in weiter Ferne, denn erst mal trifft Josefa jene Menschen, die ihr in ihrem ersten Leben am meisten bedeutet haben. Die beiden Begegnungen könnten kaum unterschiedlicher sein: Jugendfreund Blume (Ulrich Noethen) ist zwar über die äußerliche Wandlung erstaunt, begrüßt sie aber mit größter Herzlichkeit. Ungleich frostiger fällt das Wiedersehen mit jener Frau aus, die Sepp einst geheiratet hat: Petra (Eva Mattes), bis heute zutiefst verletzt, lebt nach wie vor auf dem Hof der Schwiegereltern, schaut Josefa bloß an, sagt kein einziges Wort und lässt sie einfach stehen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Was nun folgt, ist eine vorsichtige Annäherung auf zwei Ebenen: Josefa spricht sich mit Blume aus, versöhnt sich mit Petra und stellt sich den vor allem vom Vater verkörperten Dämonen ihrer Vergangenheit.
Schon gleich am Anfang hat sie beim Radeln durch die Stadt und im Bus ins Dorf Erscheinungen eines jungen Mannes (Riccardo Campione); nach und nach wird klar, dass der sympathische Lockenkopf ihr jungen Alter Ego ist. Die entsprechenden Rückblenden hat Kummer auf verblüffend einfache und gerade deshalb umso eindrucksvollere Weise in die Gegenwart integriert: Josefa schaut in den mütterlichen Kleiderschrank, in dessen Tür sich ein Spiegel befindet. Darin sieht sie zuerst sich selbst und dann, als sie die Tür noch etwas weiter öffnet, hinter sich den jungen Sepp im Kleid. Nun erklärt sich auch eine frühere Spiegelszene, als Josefa eine junge Frau erblickt; es handelt sich um Petra, die aus dem Bad kommt und ihren Mann in einem ihrer Kleider ertappt.
Zum ausnahmslos eindrucksvollen Ensemble gehört neben Matthias Matschke als Josefas Mann auch Kaya Hayal als Freundin Antonia. Die Zahnärztin prägt nicht nur den Prolog: Als sie den Bauernhof besucht, wirbelt sie den beinahe sichtbaren provinziellen Mief mit ihrer bunten Unbeschwertheit durcheinander und holt Petra aus ihrem fraulichen Dornröschenschlaf.
Menschen, die sich selbst als "queer" betrachten, werden vielleicht kritisieren, dass ausgerechnet die Hauptfigur nicht ebenfalls von einer Trans-Person verkörpert wird. Diese Vorbehalte hatte Julia Monro, die die Dreharbeiten als Sensitivity-Beraterin begleitet hat, zunächst auch; bis sie Neuhauser in der Rolle erlebte. Brées Buch und Kummers Umsetzung lassen ohnehin keinen Zweifel an der Botschaft. Zu Beginn verweist Josefa in einer Gesprächsrunde auf den Biologen Milton Diamond ("Das wichtigste Sexualorgan sitzt zwischen den Ohren"), aber noch treffender ist ihre Antwort, als Blume wissen will, seit wann sie eine Frau sei: "Seit ich denken kann". Als die Geschichte schließlich zu Ende erzählt ist, schüttelt Brée noch einen echten Knüller aus dem Ärmel.