TV-Tipp: "Der Dänemark-Krimi: Das Mädchen im Kirchturm"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
Getty Images/iStockphoto/vicnt
10. Oktober, ARD, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Der Dänemark-Krimi: Das Mädchen im Kirchturm"
Es ist Nacht im kleinen dänischen Küstenort Ribe. Eine junge Frau flieht in Panik durch die Gassen, ein Mann ist ihr auf den Fersen. Schließlich rettet sie sich in den Glockenturm einer Kirche. Die Situation eskaliert weiter, als die Polizei zu Hilfe kommt.

Zwei Streifenpolizistinnen hören ihre Hilferufe. Unter der Glocke kommt es zur Konfrontation: Der Mann nimmt die Frau als Geisel. Als die Glocke zu läuten beginnt, erschrecken alle vier. Eine der Polizistinnen schießt, der Mann stirbt, die Frau stürzt in die Tiefe. Da es sich um einen eindeutigen Fall von Nothilfe handelt, wird es zwar pro forma eine Untersuchung geben, aber davon abgesehen ist die Sache für die Vorgesetzte der beiden Ordnungshüterinnen erledigt.

Der Mann war als Gewalttäter vorbestraft, außerdem hat ihn eine frühere Freundin wegen versuchter Vergewaltigung angezeigt. Die Chefin empfiehlt Emma Lorenzen, der sichtlich mitgenommenen Schützin, eine psychologische Beratung. Für Emmas Kollegin Ida Sörensen gibt es jedoch viel zu viele Ungereimtheiten, um zur Tagesordnung überzugehen.

Timo Berndts Drehbuch zum dritten "Dänemark-Krimi" mit Marlene Morreis erzählt eine interessante Geschichte, aber von herausragender Qualität ist wie schon bei "Blutlinie" (2023) die Bildgestaltung. Schon der knapp zehn Minuten lange Prolog mit der Verfolgung durch die Altstadt, den Zwischenschnitten auf gruselige Steinfiguren, einer gelegentlich im rechten Winkel um die Längsachse gekippte Kamera und dem Finale im Glockenturm ist ein düsteres kleines Kunstwerk.

Die Meriten gebühren neben Regisseur Florian Schott gleich zwei erfahrenen Bildgestaltern: Simon Schmejkal, der auch die ersten beiden "Dänemark-Krimis" fotografiert hat, ist zu Beginn der Dreharbeiten erkrankt und wurde vom nicht minder renommierten Volker Tittel vertreten, bis er wieder einsatzbereit war. Der Prolog, teilt die Produktion mit, ist an verschiedenen Motiven gedreht worden, daher waren beide beteiligt. Die Musik (Marius Ruhland) spielt gerade in diesen Szenen natürlich auch eine Rolle, muss die Spannung aber gar nicht auf die Spitze treiben. Auch der Zeitlupeneffekt bei der Kettenreaktion zum Finale dieses besonderen Auftakts passt. 

Erwartungsgemäß kann der Film (Regie: Florian Schott) diese Intensität nicht halten, auch die Kamera hat nun andere Aufgaben, denn wie in den meisten Reihenkrimis müssen auf der Suche nach Antworten viele Fragen gestellt werden. Immerhin ist "Das Mädchen im Kirchturm" längst nicht so dialoglastig wie der letzte Film, "Blutlinie". Die Bilder bleiben allerdings sehenswert; gerade die Aufnahmen der spätherbstlich düsteren Landschaft sind eindrucksvoll.

Davon abgesehen lebt die Handlung vor allem von der geschickt verzwickten Handlung und dem rätselhaften Verhalten gleich mehrerer Nebenfiguren. Für Ida ist recht bald klar, dass es nicht um versuchte Vergewaltigung ging. Ihre Nachforschungen ergeben, dass die junge Frau, Bente Bruun, angehende Journalistin war und verdeckt in Ribe recherchiert hat. Offenbar geht es um Drogenhandel. Was sie in dem Städtchen wollte, ist allerdings völlig unklar. Es gibt zwar eine Einrichtung für Süchtige, aber nach Wissen der Polizei keine organisierte Kriminalität.

Die einzigen Spuren führen in ein Altenheim, in dem Bente ein Praktikum machen wollte, sowie zu einer Drogenberatung. Aber welche Rolle spielt der Catering-Service, der das Heim und andere Einrichtungen dieser Art mit Essen versorgt? Interessant ist auch die psychologische Ebene: Weil Ida sich die Schuld am Tod ihres früheren Lebensgefährten gibt, möchte sie das Versäumnis an Emma (Zoë Valks) wieder gut machen. Die Kollegin reagiert jedoch überraschend gereizt und will unbedingt erreichen, dass Ida und ihr Kollege (Nicki von Tempelhoff) die Ermittlungen einstellen; schließlich verpetzt sie die beiden sogar bei der Chefin (Katharina Heyer).

"Das Mädchen im Kirchturm" ist Schotts beachtliches Langfilmdebüt fürs deutsche Fernsehen; abgesehen von einem vor rund zehn Jahren in Namibia entstandenen Film hat er bislang in erster Linie Kurzfilme und Serienfolgen gedreht. Neben der Umsetzung ist auch das gerade in den wichtigen Rollen sehr erfahrene Ensemble (Therese Hämer, Alexander Hörbe) sehenswert. Eine Schlüsselrolle spielt Tobias Oertel als Chef des Catering-Services; mit seiner sinisteren Aura ist er ohnehin wie geschaffen für undurchsichtige Typen. Wenn die Kamera ihn dann auch noch aus einer betonten Untersicht zeigt, bekommt ein Satz wie "Sie drohen mir?" gleich eine ganz andere Wirkung. Interessant ist auch die Besetzung seines Gehilfen mit Lucas Zembrock ("Praxis mit Meerblick"),  der sonst meist hochsympathische junge Männer spielt.