TV-Tipp: "Aus dem Leben"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
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9. Oktober, ARD, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Aus dem Leben"
"Aus dem Leben" klingt nach einer alltäglichen Geschichte, und in gewisser Weise stimmt das auch, denn was der weiblichen Hauptfigur dieses Film widerfährt, erleben hierzulande jedes Jahr über eine Viertelmillion Menschen: Diagnose Hirnschlag.

Sabine Schuster probt gerade mit ihrer Theater-AG, als sie die Geräusche plötzlich nur noch wie durch Watte wahrnimmt; dann bricht sie zusammen. Die Untersuchung im Krankenhaus ergibt die Diagnose Hirnschlag. Die Grundschullehrerin kann ihre rechte Körperhälfte nicht mehr kontrollieren, sie wird Vieles neu lernen müssen. Zum Glück ist sie schnell in eine Klinik mit eigener Schlaganfallstation gekommen; Zeit ist Hirn, lautet die Devise in solchen Fällen. 

Die Neurologin (Lisa Tzschirner) bereitet Stefan Schuster auf einen langen Weg vor: "Ein Schlaganfall trifft nie nur einen"; und davon erzählt dieser Film. Nun wird auch die zweite Bedeutung des Titel deutlich: Sabine ist aus dem Leben gerissen worden. Später, als es langsam wieder bergauf geht, ist es vor allem dieses Ziel, aus dem sie Kraft schöpft: Sie will ihr altes Leben zurückhaben.

Zunächst durchläuft sie jedoch die üblichen Trauerphasen. Ohne jede Beschönigung und entsprechend unbarmherzig schildern Johann Bunners (Buch) und Katrin Schmidt (Regie), womit Sabines Weg zurück gepflastert ist: Verbitterung, Selbstmitleid, Trotz; auf kleine Fortschritte folgen Rückschläge, Zuversicht weicht Resignation. Und weil der Schlag auch den Gatten getroffen hat, legt der Film genauso viel Wert auf seine Reaktion. Achtzig Prozent der Männer, liest Stefan im Internet, verlassen ihre Frau in solchen Fällen. Er will alles dafür zu tun, um zu den anderen zwanzig Prozent zu gehören, und weil ihm nicht gefällt, wie die Pflegerin mit Sabine umgeht, übernimmt er es fortan selbst, sie zu waschen. Das wiederum behagt seiner Frau nicht.

Die Lösung für dieses Problem ist ein Geschenk des Himmels: Die fröhliche Ukrainerin Iryna (Irina Potapenko) ist genau der richtige Mensch, den das Ehepaar nun braucht. 

Das an der Entwicklung des Stoffs maßgeblich beteiligte Ehepaar Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer wird dieses Projekt ebenfalls wie ein Geschenk empfunden haben, und das nicht nur wegen des Anspruchs und der thematischen Relevanz. Derart viel Tiefe und emotionale Vielschichtigkeit haben echten Seltenheitswert, zumal es das Drehbuch nicht bei den Herausforderungen durch die Krankheit belässt: Am Abend vor dem Schlaganfall haben Stefan und Sabine ihre silberne Hochzeit gefeiert; kurze Partyrückblenden erinnern immer wieder an die schöne Zeit vor jenem Ereignis, das alles verändert hat. Aber die Heiterkeit ist trügerisch, wie Stefan erkennen muss, als er in Sabines Kalender tagebuchartige Eintragungen entdeckt, die das vermeintliche Glück in gänzlich anderem Licht erscheinen lassen: Aus Sicht seiner Frau ist die Ehe längst in Routinen erstarrt.

Der Film spielt in Ilmenau, Stefan leitet die Forstverwaltung des Naturparks Thüringen, er ist völlig zufrieden, wenn er mit Sabine auf den Schneekopf wandern kann. Ihr jedoch, liest er, hat das schon lange nicht mehr genügt: "Ob das alles war?" 

Die Qualität des Drehbuchs zeigt sich auch in den Nebenfiguren. Stefan hat die Warnung der Ärztin, ein Schlaganfall treffe nie nur einen, auf sich bezogen, aber sie gilt für das gesamte Umfeld: Tochter Annika (Leonie Brill) wollte eigentlich ein Studium in Berlin beginnen, will ihre Eltern aber nicht alleine lassen. Stefans Freund Paul (Christian Erdmann) weiß nicht, wie er mit der Situation umgehen soll, und tut prompt das einzig falsche: Er bricht den Kontakt ab. Sabine wiederum will nicht, dass jemand sie so hilflos sieht, verkriecht sich daheim und lässt nicht mal ihre beste Freundin und Kollegin Anna (Julia Koch) ins Haus. 

Dank der frühen Einbindung in die Stoffentwicklung hatte Kramer viel Zeit, um sich auf ihre Rolle vorzubereiten. Der Film schildert den weiten Weg von der anfänglichen Unfähigkeit, den rechten Fuß heben zu können, bis zu den ersten schleppenden Schritten mit fast schon dokumentarischer Detailtreue. Ein einfaches, aber effektives ästhetisches Konzept (Bildgestaltung: Markus Schott) sorgt für die passende Atmosphäre: Die Szenen in der Klinik sind durch einen Blaustich geprägt, die Aufnahmen in Haus und Wald passend zu Stefans Beruf durch einen Grünstich; beide Farbgebungen lassen den Film sehr kühl wirken. Mit Sabines Fortschritten ändert sich das langsam, zumal das Paar dank Irynas Initiative wieder zueinander gefunden hat; und dann weicht schlagartig erneut alle Farbe aus den Bildern.