Tunis (epd). Am Sonntag sind mehr als neun Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, den neuen tunesischen Präsidenten zu wählen. Neben Amtsinhaber Kais Saied treten noch zwei weitere Bewerber an: der links-nationalistische Zouhair Maghzaoui und der liberale Ayachi Zammel. Beiden werden wenig Chancen zugerechnet. Kritiker Saieds stellen die Legitimität der Abstimmung in Frage.
Der Wahlkampf war von juristischen Auseinandersetzungen überschattet. Die Wahlbehörde ISIE, deren Mitglieder vom Präsidenten benannt werden, lehnte zahlreiche Kandidatinnen und Kandidaten ab. Mehrere von ihnen legten Widerspruch gegen diese Entscheidung ein. Dreien von ihnen gab das zuständige Verwaltungsgericht Recht. Die ISIE weigerte sich jedoch, sie ins Rennen aufzunehmen. Daraufhin verabschiedete das Parlament zehn Tage vor der Wahl eine Gesetzesänderung und entzog dem Gericht die Zuständigkeit für Wahlanliegen, um zu verhindern, dass es die Abstimmung im Nachhinein für ungültig erklärt.
Amtsinhaber Kais Saied war im Oktober 2019 im zweiten Wahlgang mit 73 Prozent der Stimmen demokratisch gewählt worden. Am 25. Juli 2021 rief er in einer rechtlich umstrittenen Entscheidung den Notstand aus. Seitdem hat er nach und nach immer mehr Macht auf sich vereint. 2022 ließ er über eine neue Verfassung abstimmen, die dem Präsidenten wesentlich mehr Befugnisse zugesteht. Unabhängige staatliche Institutionen wurden zunehmend unter direkte Kontrolle der Regierung gestellt, Dutzende Oppositionelle wegen mutmaßlicher Umsturzpläne festgenommen.
Vor den Wahlen dürfen in Tunesien keine Umfrageergebnisse veröffentlicht werden. Während der Sieg Saieds kaum infrage gestellt wird, richtet sich der Blick in erster Linie auf die Wahlbeteiligung. Hatten 2019 noch mehr als 56 Prozent der Stimmberechtigten gewählt, waren es bei den Wahlen zur ersten und zweiten Parlamentskammer 2022 und 2023 nur jeweils rund 11 Prozent. Das vorläufige amtliche Endergebnis wird Anfang kommender Woche erwartet.