TV-Tipp: "Wilsberg: Blut geleckt"

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5. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Wilsberg: Blut geleckt"
Anderswo werden Mordfälle gelöst, aber "Wilsberg" will mehr. Zum Auftakt von Krimi Nummer 83 mit dem Privatdetektiv aus Münster wird zwar ebenfalls ein Gewaltverbrechen begangen, und selbstredend ist die Suche nach der Lösung des tödlichen Rätsels auch diesmal Motor der Handlung, aber für den Treibstoff sorgen in erster Linie die Nebenebenen.

Das gilt vor allem für die originellste Idee des bewährten Duos Sandra Lüpkes und Jürgen Kehrer; der Schöpfer des Antiquariatsbesitzers und hauptberuflichen Ermittlers Georg Wilsberg (Leonard Lansink) schreibt die Drehbücher für die Reihe schon seit vielen Jahren gemeinsam mit seiner Ehefrau. "Blut geleckt" beginnt auf dem Wochenmarkt. Eine Gehilfin soll aus dem Transporter Nachschub besorgen, kehrt jedoch nicht zurück: Jemand hat über zwanzigmal auf sie eingestochen.

Typischer Fall von Übertötung, stellt ein umgehend vom Lokalfernsehen interviewter Sachverständiger für Gewaltdelikte fest: Elmar Lenz (Thomas Arnold) gilt dank einer FBI-Ausbildung zum Profiler als Deutschlands Experte Nummer eins für Serienmorde; seinen Ruhm verdankt er allerdings einem Podcast. Weil er womöglich nicht ganz zu Unrecht davon ausgeht, dass die einheimische Polizei mit dem Fall überfordert sein könnte, bietet er sich kurzerhand als externer Berater an.

Zumindest Kommissar Drechshage (Stefan Haschke), ohnehin ein großer Bewunderer, ist davon ziemlich begeistert. Overbeck (Roland Jankowsky) hingegen kann auf die Dienste des "Kollegen" gut verzichten, schließlich hat er schon Profiling betrieben, als man das Wort hierzulande noch gar nicht kannte. Dass sich die beiden Polizisten fortan ein von der schmählich unterschätzten Kollegin Wolfangel (Sarah Alles) still erduldetes und meist mit Augenrollen kommentiertes Kindergartengerangel liefern, liegt an der Auszeit ihrer Chefin: Anna Springer (Rita Russek) hat ein Sabbatical genutzt, um ein Buch über ihre Fälle zu schreiben.

Dank ihrer umtriebigen Lektorin Lucia Hillbeck (Liza Tzschirner) ist "Die Grausamkeit der Idylle" überraschend ein "True Crime"-Beststeller geworden. Just am Abend jenes Tages, an dem die junge Marktfrau so brutal aus dem Leben gerissen worden ist, gibt es eine Lesung, bei der die Lektorin alle Register der Plakativität zieht. Der eher zur Sachlichkeit neigenden Autorin sind Formulierungen wie "Das Scheusal aus dem Schleusenbecken" oder "Das Monster aus dem Modehaus" allerdings höchst unangenehm, und das völlig zu Recht, wie sich bald zeigt: Besagtes "Monster" hat anscheinend wieder zugeschlagen. Zumindest weist der Tod der jungen Frau frappierende Ähnlichkeit zur Ermordung der Modehausbesitzerin auf. René Rösch (Jörn Hentschel) ist auf Betreiben seiner Anwältin, der Wilsberg-Vertrauten Tessa Tilker, nach vielen Jahren Haft gerade erst entlassen worden.

Patricia Meeden gehört seit Fall Nummer 73 zum Stammensemble des ZDF-Dauerbrenners. "Einer von uns" (2021) war auch das "Wilsberg"-Debüt von Philipp Osthus. Er hat inklusive "Blut geleckt" fünf der letzten zehn Episoden gedreht. Abgesehen von einem Ausreißer nach unten waren alle sehenswert, und das lag keineswegs nur an den jeweils guten Drehbüchern. Vermutlich braucht das eingespielte Ensemble nicht viel Führung, schließlich kennen die Mitwirkenden ihre Rollen im Zweifelsfall besser als der Regisseur, aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, die Darbietungen nicht in Routine erstarren zu lassen.

Andererseits dürfen zum Beispiel die beiden Reviermatadore Overbeck und Drechshage nicht zu Clowns geraten, die niemand mehr ernst nimmt. Auch die Lektorin bewegt sich mit ihrem betont bunten Outfit und dem überdrehten Auftreten auf einem schmalen Grat. Gegenstück ist Anna Springer, die zwar einen Vertrag für zwei Bücher, aber keine Ideen mehr hat. Außerdem hat Rösch sie offenbar aufs Korn genommen: Weil sein Fall durch den Besteller wieder publik geworden ist, findet er keine Arbeit. 

Diese Lösung wäre natürlich viel zu naheliegend, weshalb Lüpkes und Kehrer noch weitere Verdächtige ins Spiel bringen, darunter die retraumatisierte Tochter (Ada Philine Stappenbeck) des Opfers. Für Dynamik bei der Umsetzung, die Osthus mit diversen klassischen Spannungsverstärkern würzt, sorgt eine Verfolgungsjagd mit E-Scootern auf dem Uni-Campus vor dem Hintergrund des ehrwürdigen Schlosses. Der Schauplatz ist kein Zufall: Das Mordopfer vom Markt hat Medienwissenschaften studiert. Tatsächlich befindet sich der Schlüssel zur Lösung in ihrer Masterarbeit ("Die Unschuld des Monsters"). Deren Basisthese lautet "Je schlimmer das Verbrechen, desto größer der Ruhm"; und das bezieht sich keineswegs nur auf die Täter.