TV-Tipp: "Tatort: Ad acta"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
22. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Ad acta"
Gespräche dieser Art gibt es garantiert auch im wahren Leben.  "Wir kommen immer zu spät", hadert Friedemann Berg mit seinem Beruf als Polizist; und wenn die Verbrecher verhaftet sind, sorgt ein cleverer Anwalt womöglich dafür, dass sie auch weiterhin ihr Unwesen treiben können.

Entsprechend verführerisch muss es sein, sich ausnahmsweise ebenfalls mal nicht an die Regeln zu halten; und darum geht es in diesem Krimi aus Freiburg, der auch dank der guten Bildgestaltung in jeder Hinsicht sehenswert ist. 

Die Handlung beginnt mit einem Freispruch, das Publikum im Gerichtssaal jubelt: Rainer Benzinger hat es wieder mal geschafft. Die Klientel des Verteidigers stammt aus der dunklen Seite der Gesellschaft. Der Jurist vertritt bevorzugt Rocker, Rechtsradikale und Clan-Mitglieder, er hat eine beeindruckende Erfolgsquote. Schon allein die Besetzung dieser ihrerseits gleichfalls nicht sonderlich sympathischen Figur mit August Zirner ist ein Gewinn für den Film. Kurz drauf wird Benzingers Stiefsohn Tobias ermordet. Die Tat gleicht einer Hinrichtung. Der junge Mann arbeitete in der Kanzlei seines Stiefvaters, er hatte einen Umschlag mit 100.000 Euro dabei.

Angesichts der zweifelhaften Kanzleimandanten vermuten Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) von der Kripo Freiburg zunächst, dass die organisierte Kriminalität ihre Finger im Spiel hat; oder ist Tobias erpresst worden? Ein Raubmord war die Tat jedenfalls nicht, das Geld ist ja noch da. Am Tatort findet sich außerdem das abgerissene Stück einer Spielkarte mitsamt Kordel; ein weiteres Rätsel. Der alte Benzinger könnte die Fragen vermutlich beantworten, erweist sich aber als höchst unkooperativ; auch dann noch, als er ein Attentat nur deshalb überlebt, weil die Scheiben seines Eigenheims aus Panzerglas sind. Eine Schlüsselszene des klug konzipierten Drehbuchs von Bernd Lange ist ein Gespräch zwischen Tobler und einer Richterin (Theresa Berlage). Die Polizistin fragt nach Gerechtigkeit und bekommt die desillusionierende Antwort, vor Gericht gehe es vor allem um Schadensausgleich. 

Lange ist gewissermaßen der Vater des Freiburger Duos, er hat auch das Debüt von Tobler und Berg geschrieben ("Goldbach", 2017). In seinem dritten Drehbuch für die beiden bringt er erstmals Toblers Vater ins Spiel: Die Stelle der Dezernatsleitung ist vakant. Der alte Tobler (Michael Hanemann) kann sich seine Tochter sehr gut als neue Chefin vorstellen; von Berg hält er dagegen eher wenig. Lange deutet außerdem an, dass der pensionierte Polizist von einem Schatten in Bergs Vergangenheit weiß; dieser Teil der Geschichte wird jedoch nicht aufgelöst und schwingt auch im nächsten "Tatort" aus Freiburg ("Die große Angst") mit, den die ARD im Frühjahr 2025 ausstrahlen wird. 

Rudi Gaul hat für den SWR bereits zwei vorzügliche Sonntagskrimis aus Stuttgart gedreht ("Videobeweis", 2022, und "Vergebung", 2023). Sein letzter "Tatort" kam aus München ("Königinnen", 2023) und war nicht minder sehenswert; der BR wiederholt den Film am Dienstag um 20.15 Uhr. Auch "Ad Acta" (zu den Akten) zeichnet sich durch hohe Qualität auf allen Ebenen aus. Die Musik (Verena Marisa) zum Beispiel, gern mal schräg und dissonant, aber sehr abwechslungsreich, ist ein ständig lauernder Spannungsherd. Auch die Bildgestaltung (Stefan Sommer) ist sehr sorgfältig. 

Dennoch ist die große Stärke des Films letztlich das sehr dicht umgesetzte handlungsreiche Drehbuch: Lange wirft zu Beginn diverse Fäden aus, die natürlich nur dem Anschein nach in keinerlei Zusammenhang zueinander stehen. So stellt sich zum Beispiel heraus, dass die Pistole, mit der Tobias Benzinger erschossen worden, schon einmal Tatwaffe war: Vor zwölf Jahren hat es Revierstreitigkeiten zwischen einer Rockergruppe und einem albanischen Mafiaclan gegeben, dabei ist ein unbeteiligter Passant getötet worden.

Benzinger Senior, nach Ansicht des ehrlich empörten Berg "ein Drecksack vor dem Herrn", hatte damals erreicht, dass der mutmaßliche Mörder mit einer lächerlichen Haftstrafe davonkam; die Waffe war seither verschwunden. Ein selbstredend nur scheinbar nebensächliches Detail ist die abgerissene Spielkarte mit Kordel, denn dieses Indiz ist die Spur, die ins Archiv der Kanzlei führt. Um Platz und Aktenordner zu sparen, ist für Verwaltung und Justiz vor weit über zweihundert Jahren die sogenannte badische Aktenheftung erfunden worden: Die Papiere werden gelocht und durch eine Kordel verbunden; eine Spielkarte dient zur Stabilisierung. Aufgrund der Digitalisierung ist die Methode allerdings mehr und mehr ungebräuchlich.