Berlin (epd). Der Vorsitzende der Bundestags-Enquete-Kommission zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, Michael Müller (SPD), hat weitere Bemühungen gefordert, gefährdete Afghaninnen und Afghanen in Deutschland aufzunehmen. Von insgesamt mehr als 45.000 Personen befänden sich immer noch 15.000 Menschen in Afghanistan selbst oder im Nachbarland Pakistan in einer teils verzweifelten Lage, sagte Müller am Mittwoch in Berlin.
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin schloss sich beim 3. Ortskräftekongress teilweise den Forderungen des Patenschaftsnetzwerks Ortskräfte an, das sich für die afghanischen Mitarbeiter der Deutschen während des Bundeswehreinsatzes in dem Land einsetzt. Mit Blick auf die Hürden in den Aufnahmeverfahren kritisierte Müller: „Was nicht legitim ist, ist, dass die Leute keine Chance haben, in diesen Verfahren zu bestehen.“ Derzeit ist zudem nicht sicher, ob das Bundesaufnahmeprogramm, das im Oktober 2022 gestartet worden ist, im kommenden Jahr noch finanziert wird. Darüber werde im Rahmen der gegenwärtigen Haushaltsberatungen verhandelt, sagte Müller.
Das Bundesaufnahmeprogramm richtet sich an Menschen, die wegen ihres Einsatzes für Frauen- und Menschenrechte oder ihrer früheren Arbeit in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen wie Justiz, Bildung oder Politik Verfolgung durch die Taliban fürchten müssen. Auch Familienangehörige können so nach Deutschland einreisen. Ursprünglich war vorgesehen, 1.000 Menschen pro Monat die Einreise zu ermöglichen. Tatsächlich sind bis heute nur knapp 600 Personen über das Programm gekommen. Insgesamt wurden laut Innenministerium für mehr als 2.800 Personen Aufnahmezusagen erteilt.
Das Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte fordert zudem seit Jahren ohne Erfolg eine Reform des Ortskräfte-Verfahrens. Zentral sei, dass volljährige Kinder ehemaliger Ortskräfte aufgenommen würden, sagte Qais Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk. Sie seien in Afghanistan der Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt, müssten Folter und Tod fürchten und hielten sich teilweise seit Jahren versteckt. Das Ortskräfte-Verfahren sieht nur die Aufnahme minderjähriger Kinder vor.
Laut Zahlen des Innenministeriums hat Deutschland nach der Machtübernahme der Taliban insgesamt mehr als 34.100 gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufgenommen, darunter mehr als 20.400 ehemalige Ortskräfte mit ihren Familienangehörigen. Die meisten von ihnen waren während des Bundeswehreinsatzes für die deutschen Streitkräfte oder andere deutsche Institutionen tätig. Insgesamt 48.100 gefährdete Afghaninnen und Afghanen wurde in den vergangen drei Jahren eine Aufnahme in Aussicht gestellt.
Der Ortskräftekongress fand zum dritten Mal statt. Er wird ausgerichtet vom Patenschaftsnetzwerk, der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und der Evangelischen Akademie zu Berlin.