TV-Tipp: "3 ½ Stunden"

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13. September, 3sat, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "3 ½ Stunden"
Schon die Grundidee von "3 ½ Stunden" (TV-Premiere war 2021) ist originell und auf Anhieb überzeugend. Es wird eine Reise, die keiner der Beteiligten je vergessen wird, denn die Geschichte spielt am 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus.

Die Konstellation dieses Ensemblefilms erinnert von Ferne an den Agatha-Christie-Klassiker "Mord im Orientexpress": ein Zug, diverse Passagiere; und ein Ereignis, das die Gruppe gleichermaßen eint und trennt. Schon die Grundidee von "3 ½ Stunden" (TV-Premiere war 2021) ist originell und auf Anhieb überzeugend: An einem sommerlichen Sonntag setzt sich am Münchener Hauptbahnhof ein Fernzug nach Berlin in Bewegung. An Bord sind unter anderem ein Mann und eine Frau auf dem Weg zur Hochzeit, eine vierköpfige Familie, ein altes Ehepaar, eine vermeintliche Mutter mit Kind, eine vierköpfige Musikergruppe, ein Kriminalkommissar.

Es wird eine Reise, die keiner der Beteiligten je vergessen wird, denn die Geschichte spielt am 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus. Die Reisenden sind auf dem Weg in die heimische DDR. Als sich die Kunde von den sogenannten grenzsichernden Maßnahmen verbreitet, haben sie dreieinhalb Stunden Zeit, um eine Entscheidung zu treffen, die ihr Leben verändern wird: Ausstieg in die Freiheit oder Rückkehr in die Heimat, die fortan zumindest aus westlicher Perspektive einem Gefängnis gleichen wird? Die Diskussion entzweit Freunde, Paare und die Familie. 

Das Drehbuch stammt von Robert Krause, dessen Großeltern an jenem Tag ebenfalls in einem Zug von West nach Ost saßen, und Beate Fraunholz. Er war unter anderem Koautor von "Unsere wunderbaren Jahre" (ARD 2020). Der dreiteilige Fernsehfilm nach dem Wirtschaftswunderroman von Peter Prange erzählte eine epische Geschichte von Liebe, Schmerz, Rache und Verrat; das sind exakt auch die Zutaten zu "3 ½ Stunden". Koautorin Fraunholz hat überwiegend Sonntagsfilme im ZDF geschrieben, und auch das passt, denn einige Ebenen sind gleichermaßen romantisch wie melodramatisch. Die größte Herausforderung für das Drehbuchduo und Regisseur Ed Herzog bestand vermutlich darin, die komplexe Handlung in den Rahmen eines Neunzigminüters zu quetschen, ohne die einzelnen Stränge allzu sehr zu verknappen, was angesichts eines guten Dutzends Hauptfiguren gar nicht so leicht gewesen sein dürfte. 

Trotzdem ist es gelungen, die handelnden Personen nicht auf Klischees zu reduzieren. Bei derart vielen Protagonisten ist zudem die Gefahr groß, dass der Film von einer Ebene zur nächsten hüpft, ohne einen echten Handlungsfluss herzustellen. Dank der Einheit von Zeit und Raum konnte Herzog die elegante Verknüpfung der einzelnen Stränge Ngo The Chau überlassen, dessen Kamera von einem Fahrgast zum anderen wandert. Das beginnt schon auf dem Bahnsteig mit der aufwändig gestalteten Einführung einiger Figuren. Die Aufnahmen sind zudem in ein Licht getaucht, das von Beginn an ein für historische Produktionen dieser Art typisches Zeitgefühl vermittelt. 

Ein weiteres Qualitätsmerkmal dieses Films, der gern auch 120 Minuten hätte dauern dürfen, ist die Auswahl der Mitwirkenden. Der einzige Star, Uwe Kockisch, spielt nur eine Gastrolle als für die Überwachung der Grenzschließung zuständiger Volkspolizist; die Bauarbeiten finden unter anderem direkt vor seinem Bürofenster statt. Viele andere Rollen sind mit bekannten und bewährten TV-Schauspielern besetzt, allen voran Martin Feifel als Kommissar, Jördis Triebel als Trainerin einer kindhaften Turnerin, Peter Schneider als Mann, der eine alte Schuld mit sich herumträgt, sowie Susanne Bormann und Jan Krauter als Elternpaar mit gänzlich unterschiedlichen Erwartungen ans Leben. Für die darstellerischen Überraschungen sorgen jedoch andere.

Eine echte Entdeckung fürs breite Publikum ist beispielsweise Alli Neumann als Sängerin der Band, die ihre eigenen und eigens für den Film geschriebenen Lieder vorträgt. Nicht minder sehenswert ist Luisa-Céline Gaffron, die ihr Können allerdings schon in mehreren Krimis unter Beweis gestellt hat. Hier verkörpert sie eine ostdeutsche Lokomotivführerin, die den Zug an der Grenze mit ihrer Dampflok übernehmen wird. Ein junger Defa-Reporter (Vincent Redetzki) soll einen Dokumentarfilm über die junge Frau drehen und verliebt sich prompt in ihr sonniges Gemüt. 

Ed Herzogs Arbeit mit dem Ensemble ist ohnehin vorzüglich. Der Regisseur war zuletzt vor allem mit den heiteren Eberhofer-Krimis beschäftigt. Dass die Kamera gegen Ende im Zug die erst deutlich später angebrachten "modernen" Türgriffe einfängt, ist Künstlerpech. Dass Herzog den Mitwirkenden sprachliche Modernismen wie "alles gut" oder "gern" (statt bitteschön) durchgehen ließ, ist dagegen ärgerlich.