Düsseldorf, Solingen (epd). Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) fordert nach dem Anschlag von Solingen Veränderungen in der Migrations- und Sicherheitspolitik „zur Verteidigung unserer Freiheit“. Der „barbarische, menschenverachtende Terror“ von Solingen sei ein Wendepunkt, sagte er am Freitag in einer Sondersitzung des NRW-Landtags in Düsseldorf. Die Opposition warf der schwarz-grünen Landesregierung Versäumnisse bei der Bekämpfung der illegalen Migration und der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber vor. In einer Schweigeminute wurde der Opfer des mutmaßlich islamistischen Anschlags vor einer Woche gedacht.
Wüst sagte, es gelte nun, parteiübergreifend „die Ursachen gemeinsam an der Wurzel zu fassen“, ohne zu überziehen und sich bei Forderungen zu überbieten. Irreguläre Migration nach Deutschland müsse beendet werden. Der CDU-Politiker sprach sich für Asylverfahren außerhalb Deutschlands und der EU aus. Nötig seien zudem wirksame Rücknahmeabkommen mit den wichtigsten Herkunftsländern und mehr Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan. Das Individualrecht auf Asyl bleibe aber gewahrt und werde „von niemandem in Zweifel gestellt“.
Der Regierungschef forderte zudem eine bessere personelle, technische und rechtliche Ausstattung von Polizei und Nachrichtendiensten. Es brauche eine „verfassungskonform ausgestaltete Vorratsdatenspeicherung“. Im Zweifel müsse es weniger Datenschutz und „eine neue Balance mit mehr Schutz unserer Freiheit“ geben. Zudem müsse die Polizei mehr rechtliche Möglichkeiten bekommen, Menschen zu kontrollieren. Die Debatte über eine Verschärfung des Waffenrechts könne „allenfalls ein kleiner erster Baustein sein“, die Probleme anzugehen.
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Jochen Ott, kritisierte, dass es nur einen einzigen Versuch gegeben habe, den als Asylbewerber nach Deutschland gekommenen mutmaßlichen Attentäter von Solingen nach Bulgarien zurückzuführen - dort war er in die EU eingereist. Das „Abschiebemanagement“ der Regierung habe nicht funktioniert, rügte er. Ott forderte, die Zuständigkeit für Flüchtlinge vom Ministerium für Flucht und Integration abzuziehen und dem Innenministerium zuzuordnen.
Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) räumte ein, dass der Anschlag von Solingen „Lücken in der sicherheitspolitischen Architektur unseres Landes“ offengelegt habe, an denen das Land nun gemeinsam mit Bund und Kommunen arbeiten wolle. Paul kritisierte erneut das Verfahren der Dublin-Überstellungen, mit denen Asylsuchende in jenes EU-Land zurückgeführt werden, das für den Asylantrag zuständig ist. Nun müssten „praxistaugliche Lösungen“ für die Überstellungen gefunden werden.
Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) warnte vor „billigen Streitereien“ der Politik und appellierte an alle, sich differenziert mit dem Anschlag und seinen Folgen auseinandersetzen. Grundsätzlich gelte: „Der Staat ist funktionsfähig.“
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Henning Höne kritisierte, Wüst habe bei seinen Ausführungen „keinen einzigen konkreten Vorschlag“ gemacht, wie das Land künftig solche Vorfälle verhindern wolle. Höne regte an, die Betreuung der Asylsuchenden zu zentralisieren und von den Kommunen in die Verantwortung des Landes zu übertragen. Überdies sollte eine zweite Abschiebehaftanstalt in NRW entstehen - möglichst in der Nähe des Düsseldorfer Flughafens.
Vor der Debatte legten die Abgeordneten eine Schweigeminute für die Opfer ein. Auf der Besuchertribüne saßen auch Vertreter von Hilfs- und Rettungsdiensten sowie der Notfallseelsorge. Im Parlament liegt ein Kondolenzbuch für die Opfer des Terroranschlags aus. Für Sonntag ist Trauerbeflaggung für alle Dienstgebäude des Landes NRW angeordnet.
Beim Fest zum 650. Solinger Stadtjubiläum vor einer Woche hatte ein Attentäter mit einem Messer drei Menschen getötet und acht verletzt. Mutmaßlicher Täter ist ein 26-jähriger Syrer, der Mitglied der islamistischen Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) sein soll.