Solingen, Berlin (epd). Der mutmaßlich islamistisch motivierte Messeranschlag von Solingen hat eine neue Debatte über die Sicherheits- und Migrationspolitik entfacht. Bei einem Besuch am Anschlagsort kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag eine Verschärfung des Waffenrechts an, insbesondere in Bezug auf Messer. Details blieben aber offen. Die Union erneuerte derweil ihre Forderungen nach einer strikten Begrenzung der Zuwanderung. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wollen die Praxis der Abschiebungen in andere EU-Staaten prüfen.
„Alles, was in unserer Macht liegt, was in unseren Möglichkeiten liegt, muss auch getan werden“, sagte Scholz. Der Kanzler war nach Solingen gereist, um gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU), dessen Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne), Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) und Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) der Opfer zu gedenken sowie mit Einsatzkräften zu sprechen. Beim „Fest der Vielfalt“ zum 650. Solinger Stadtjubiläum hatte ein Mann am Freitagabend mit einem Messer auf Festbesucher eingestochen. Drei Menschen wurden getötet und acht verletzt.
Zu möglichen Asylrechtsverschärfungen äußerte sich Scholz zurückhaltend. Er verwies auf die bereits beschlossenen Verschärfungen der Abschieberegeln. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte zeitgleich in Berlin, im Fall Solingen habe man es nicht mit rechtlichen Schwierigkeiten, sondern mit Umsetzungsproblemen zu tun. Er bestätigte, dass der 26-jährige Tatverdächtige, der aus Syrien nach Deutschland gekommen war, eigentlich nach Bulgarien hätte überstellt werden können.
Man müsse sich darüber unterhalten, wie bei den sogenannten Dublin-Verfahren, bei denen ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist, schneller abgeschoben werden kann, sagte Buschmann nach einem gemeinsamen Besuch mit Faeser im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin. Faeser sagte, man müsse zudem das harte Vorgehen gegen den Islamismus fortsetzen. Beide versprachen zudem Gespräche über die Verschärfung des Waffenrechts. „Das ist der Dreiklang, an dem wir jetzt arbeiten in der Bundesregierung“, sagte Buschmann.
Die Forderung des CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz, keine Flüchtlinge mehr aus Afghanistan und Syrien aufzunehmen, wies Scholz' Sprecher Hebestreit zurück. Es gebe verfassungsrechtliche Grundsätze, die man nicht über Bord werfen könne, sagte er. Ein Aufnahmestopp würde gegen das Grundgesetz und die EU-Menschenrechtskonvention verstoßen. Merz hatte Scholz per öffentlicher Mail dazu aufgefordert, bei einem für diese Woche geplanten Treffen über grundlegende Änderungen in der Flüchtlingspolitik zu sprechen.
Ministerpräsident Wüst sagte zu politischen Konsequenzen aus der Tat: „Ankündigungen alleine werden nicht reichen.“ Es müsse möglich werden, mindestens in Teile Syriens und nach Afghanistan abzuschieben, sagte der CDU-Politiker. Dazu brauche es eine neue Lagebewertung des Auswärtigen Amtes.
Das Bundesinnenministerium ist nach eigenen Angaben mit Nachbarländern von Syrien und Afghanistan im Gespräch, um Abschiebungen dorthin möglich zu machen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte, die praktischen Fragen seien „alles andere als trivial“. Nach aktueller Einschätzung komme es in Syrien in allen Landesteilen weiter zu Kämpfen und schweren Menschenrechtsverletzungen.
Der Extremismusforscher Andreas Zick warnte davor, den Solinger Anschlag zu instrumentalisieren. Nötig sei vielmehr, die Analyse von möglichen Gefährdern zu verstärken und den Terror genau zu analysieren, sagte der Bielefelder Konfliktforscher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dem mutmaßlichen Attentäter Issa Al H. wird die Mitgliedschaft in der islamistischen Terrororganisation IS vorgeworfen.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland verurteilte am Montag die Tat als „feigen Anschlag“. Sie sei „ein feindlicher und menschenverachtender Akt gegen unsere freie Gesellschaft“, erklärte der Verband.
Die Opferschutzorganisation Weißer Ring forderte, bei allen berechtigten Diskussionen um den mutmaßlichen Täter und mögliche Motive nun zuerst an die Opfer zu denken und für sie da sein.