TV-Tipp: "Push"

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4. August, ZDFneo, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Push"
Die Serie "Push" erzählt laut ZDF "tabufrei von Geburten und vom Klinikalltag" dreier Hebammen. Das Tabuthema Gewalt im Kreißsaal kommt jedoch nicht vor, weil die drei Hauptfiguren, zwei Hebammen und eine Studentin, idealtypische Repräsentantinnen ihres Berufs sind.

Ein einziges Mal und dann auch noch sehr beiläufig wird vom unethischen Verhalten einer Hebamme berichtet. Dass viele Mütter eine Geburt als traumatische Erfahrung erlebt haben, weil sie beleidigt oder gar geohrfeigt worden sind, sparen die sechs Folgen dagegen komplett aus. Natürlich ist es das gute Recht von Autorin Luisa Hardenberg, "Push" (TV-Premiere war im März) als Hommage an den Hebammenberuf zu konzipieren, aber angesichts des quasidokumentarischen Charakters der Serie fällt diese Leerstelle stark ins Gewicht. 

Davon abgesehen sind die sechs Folgen, die sich inhaltlich über ein knappes halbes Jahr erstrecken, sehenswert, selbst wenn die Ausflüge ins Privatleben der Hauptfiguren mitunter recht ausführlich sind. Andererseits sorgen sie dafür, dass gerade die beiden von Anna Schudt und Mariam Hage ganz vorzüglich verkörperten Hebammen neben dem alltäglichen Druck im Beruf durch weitere Themen umgetrieben werden: Die erfahrene Anna Koch (Schudt) hat sich von ihrem Mann getrennt und kann sich ihre große Wohnung nicht mehr leisten, die jüngere Nalan Arzouni (Hage) versucht schon seit geraumer Zeit vergeblich, selbst Mutter zu werden. Die beiden Frauen haben allerdings noch ein ganz anderes Problem, das sich durch alle Episoden zieht: Ein Elternpaar hat sie und die Klinik verklagt. Sein vor sechs Monaten geborenes Kind leidet unter Epilepsie, weil bei der Einleitung eines Kaiserschnitts angeblich zu viel Zeit verloren wurde und das Baby daher unter Sauerstoffmangel litt. Sollte die Klage erfolgreich sein und die Schuld bei der am Ende zuständigen Anna Koch liegen, müsste sie Zahlungen leisten, die ihre Versicherung nicht decken würde. Kein Wunder, dass sie den Druck schließlich nur noch mit Beruhigungsmitteln aushält, die sie heimlich aus dem Medikamentenschrank entwendet. 

Während ihrer Arbeit lassen sich die beiden Frauen jedoch nicht anmerken, was sie sonst noch umtreibt. In diesen Szenen zeigt die Serie, wie beglückend dieser Beruf für alle Beteiligten sein kann, weil die Hebammen immer wieder das Wunder des Lebens erleben. Dass es dabei zu Komplikationen kommen kann, wird zwar nicht verschwiegen, aber die Geburten verlaufen letztlich weitgehend reibungslos; selbst eine später als "Feuertaufe" von Hebammenstudentin Greta gefeierte Sturzgeburt im Treppenhaus. Lydia Lehmann ist die Entdeckung dieser Serie und "Push" garantiert der Beginn einer Karriere. Greta sorgt zudem für ein bisschen "Herzkino"-Flair, als sie feststellt, dass Oberärztin Mohn (Katia Fellin) nicht kühl, sondern cool ist. Den ersten Kuss der beiden Frauen unterlegt die Regie mit einem Schmusesong von Billie Eilish. Die Serie läuft zwar sonntags in Doppelfolgen, aber bei Neo.

Es ist ohnehin verwunderlich, dass das ZDF "Push" nicht im Hauptprogramm ausgestrahlt hat, zumal auch die Nebenfiguren Tiefe bekommen: Chefärztin Keller (Idil Üner) hat Brustkrebs, will jedoch kein Mitleid; Kinderarzt Pfeiffer (André Kaczmarczyk) möchte eine Familie, seine Freundin, die Anästhesistin Fritzi (Olga von Luckwald), jedoch nicht. Auch die Mütter bringen biografische Details mit, zumal die Gastrollen etwa mit Stephanie Reinsperger ("Tatort" aus Dortmund), der neuen "Stralsund"-Hauptdarstellerin Sophie Pfennigstorf oder Marleen Lohse ("Nord bei Nordwest") markant besetzt sind. Besonders berührend ist ein Handlungsstrang mit Amelie Kiefer als Mutter, deren Baby bereits in der 26. Woche auf die Welt geholt werden muss. Die Kaiserschnittaufnahmen sind echt, die Bilder des winzigen Frühchens naturgemäß herzergreifend. 

Die Umsetzung der Drehbücher von Luisa Hardenberg (Regie: Katja Benrath, Mia Maariel Meyer) ist allerdings etwas sprunghaft, weil die Szenen oftmals nur kurz sind und die Ebenen ständig wechseln. Mitunter wirken die Episoden zudem, als habe die Autorin getreu der Devise "Jede Geburt ist anders" eine Liste mit allen möglichen Konstellationen abgearbeitet. Einige Kurzvorträge wiederum gelten hörbar dem Publikum, wenn die Chefärztin über den Spagat zwischen bestmöglicher Behandlung und wirtschaftlichem Druck referiert, andere haben den offenkundigen Charakter eines Anliegens, wenn sich Greta darüber echauffiert, dass Frauen nach der Geburt in die zweite Reihe geschoben werden. Eine weitere Botschaft bedarf dagegen keiner Worte: Eine Geburt ist nichts für Feiglinge.