Köln (epd). Der Gießener Staatsrechtler Steffen Augsberg kritisiert das Verbot sogenannter Gehsteigbelästigungen vor Beratungsstellen und Abtreibungspraxen als Aktionismus und unangemessene Einschränkung der Meinungsfreiheit. Belästigungen von Schwangeren seien inakzeptabel, hätten aber mit bereits vorhandenen Mitteln geahndet werden können, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Samstag). Der Bundestag habe sich mit einem Problem befasst, das sich in der täglichen Praxis nur selten stelle. „Die Ampel wollte offenbar zeigen, dass sie noch handlungsfähig ist und sich auch mal auf etwas einigen kann“, sagte Augsberg, der bis April Mitglied des Deutschen Ethikrats war.
Der Bundestag hatte am Freitag in Berlin mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen ein Gesetz gegen Belästigungen von Frauen, Beraterinnen und medizinischem Personal durch Abtreibungsgegner beschlossen. Behinderungen und das Bedrängen Schwangerer werden verboten und können künftig mit bis zu 5.000 Euro Bußgeld geahndet werden. Im geänderten Schwangerschaftskonfliktgesetz wird dazu eine Abstandsregel von 100 Metern zu Praxen oder Eingängen von Kliniken oder Beratungsstellen ergänzt.
Augsberg räumte ein: „Es mag sein, dass die sogenannten Lebensschützer das Interesse verfolgen, schwangeren Frauen ein schlechtes Gewissen zu machen und auf dem Weg in eine Abtreibungspraxis Schuldgefühle oder Scham auszulösen. Aber soll das wirklich verboten sein?“ Auch Abtreibungsgegner hätten das Recht, ihre Meinung kundzutun, betonte der Staatsrechtler.
Der Sinn der Meinungsfreiheit sei, dass sie sogar weithin unverständliche Ansichten schütze. „Wenn wir die Grenzen so eng ziehen, dass alles unzulässig ist, was andere als Zumutung und subjektiv unangenehm empfinden, bleibt davon nicht mehr allzu viel übrig“, betonte der Jurist. Er kritisierte auch, dass die Neuregelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz falsch angesiedelt sei: „Das Polizei- sowie das Straßen- und Wegerecht sind Ländersache.“