Was mit dem Kirchenfenster in Oberammergau passiert

Buntglasfenster zur Geisselung Jesu in der evangelischen Kreuzkirche Oberammergau
epd-bild/Susanne Schroeder
Der Passionsort Oberammergau arbeitet sich seit Jahrzehnten an seiner eigenen Geschichte von Judenfeindschaft in Text und Inszenierung ab. Dieses Kirchenfester in der evangelischen Kreuzkirche Oberammergau mit deutlich antisemitischen Merkmalen fiel aber keinem auf.
Antisemitisches Bild-Erbe
Was mit dem Kirchenfenster in Oberammergau passiert
Über die "Judensau"-Plastiken an Kathedralen wurde lange gestritten. Doch auch in kleineren Kirchen gibt es judenfeindliche Darstellungen. Die Kreuzkirchengemeinde in Oberammergau sucht nach dem richtigen Umgang mit einem antisemitischen Fenster.

Seit bald hundert Jahren ist dieses bunte Glasfenster Teil der evangelischen Kreuzkirche Oberammergau: Höhnisch feixend umringen darauf drei Häscher den gefesselten Jesus mit Dornenkrone. Ihre Gesichter sind Prototypen des Juden-Klischees, wie sie in zeitgenössischen Propagandablättern gezeigt wurden. Einer der dargestellten Peiniger trägt dunkelgelbe Schuhe - die Farbe, die von Antisemiten synonym fürs Judentum verwendet wird.

Seit ihrer Einweihung am 28. Juli 1928 gibt es diese Darstellung in der evangelischen Kirche im Passionsort Oberammergau, der sich seit Jahrzehnten an seiner eigenen Geschichte von christlichen Antijudaismus in Text und Inszenierung der Passionsspiele abarbeitet. Doch erst zur letzten Passion 2022 wurde das Fenster ein Thema: Amy-Jill Levine, Professorin für Neues Testament und Jüdische Studien an der US-amerikanischen Hartford University, besuchte damals die Kreuzkirche und machte auf das unscheinbare Fenster aufmerksam.

Schnell wurde beschlossen, das Thema in einem größeren Kontext aufzugreifen: Eine Arbeitsgruppe formierte sich mit dem Ziel, alle evangelischen Kirchen in Bayern bezüglich antisemitischer Bildkunst unter die Lupe zu nehmen. So sollen - neben den bekannten Fällen wie den "Judensau"-Darstellungen an der Nürnberger Sebalduskirche oder dem Heilsbronner Münster - auch Darstellungen gefunden werden, die bislang niemand bemerkt hat. Jetzt soll etwa ein Verzeichnis belasteter Darstellungen in evangelischen Kirchen und Hilfen für betroffene Gemeinden erarbeitet werden.

"Fast hundert Jahre ist niemandem dieses Fenster aufgefallen", sagt Pfarrerin Heike-Andrea Brunner-Wild, die seit Mai 2023 in der Gemeinde ist. Selbst die Experten des landeskirchlichen Kunstreferats, die bei der umfassenden Neugestaltung der Kreuzkirche 2016 beteiligt waren, stutzten nicht.

Blindheit auf allen Ebenen

Angesichts der Blindheit auf allen Ebenen sei im Kirchenvorstand bei den ersten Diskussionen Betroffenheit und auch "ein Stück Scham" zu spüren gewesen, sagt Brunner-Wild. Alle seien sich einig gewesen, dass die Gemeinde die Geschichte des Fensters "in sensibler Art und Weise" aufarbeiten müsse.

Die Pfarrerin selbst ist in die Archive gestiegen, um die Geschichte der Kirchenfenster zu erforschen. Ein Professor der Akademie für grafische Künste in Leipzig, Paul Horst-Schulze (1876-1937), hat die Fenster demnach entworfen. Über die politische Gesinnung des Pfarrerssohns ist nichts bekannt; seinen Stil bezeichnete eine Kunstzeitschrift als "Mix aus Spätgotik und germanisierendem Jugendstil". Er hatte Kontakt zum Architekten der Kreuzkirche, Gustav Reutter (1894-1971), dem in der Stadtbiografie eine deutschnationale Gesinnung zugeschrieben wird: Er war ab 1933 NSDAP-Mitglied und SA-Rottenführer.

Fenster ein "kunsthistorisches Dokument"

Ob Reutter den Auftrag für die Kirchenfenster mit einschlägigen Vorgaben verbunden hat, bleibt ungeklärt. Wahrscheinlicher ist, dass sich in der Geißelungs-Szene der "ganz normale" Antisemitismus der damaligen Zeit widerspiegelt.

Das Fenster soll bleiben, wo es ist, wie der Kirchenvorstand jüngst beschloss. "Es ist ein kunsthistorisches Dokument der damaligen Zeit, wir können es nicht ausradieren und so tun, als hätte es nie existiert", sagt Brunner-Wild. Stattdessen wolle man eine Diskussion darüber anstoßen, "wie selbstverständlich antijüdische Klischees damals in die Kirche eingewandert sind".

Bis Ende des Jahres soll eine Texttafel für den Eingangsbereich der Kirche konzipiert werden, die auf das Fenster hinweist, sich von jeglichem Antisemitismus distanziert und die weiteren Schritte der Aufarbeitung aufzeigt. Der viermalige Leiter der Oberammergauer Festspiele, Christian Stückl, ist hingegen dafür, das Fenster zu entfernen. Die Darstellung sei "klar von der antisemitischen Tradition bestimmt".

Amy-Jill Levine lobt das Vorgehen der Gemeinde. Es sei gut, dass man das Bild als antisemitisch anerkenne und das Problem nicht leugne, sagt sie. Auch sie sei gegen eine Auslöschung der Vergangenheit, besser sei eine Kontextualisierung solcher Bilder: "In einer kirchlichen Umgebung kann das Fenster zu einem Zeichen für die Notwendigkeit der Buße, für Wachsamkeit gegenüber Vorurteilen und Fanatismus werden und zu einer Warnung, dass und wie wir alle gefährdet sind, andere zu diffamieren."