Dariusz Bruncz, Polen:
In Polen wird intensiv gewählt. In den letzten acht Monaten schon zum dritten Mal samt der bevorstehenden Europawahlen - nach den bahnbrechenden Parlamentswahlen im Oktober 2023, die einen Machtwechsel herbeiführten, gab es im April 2024 noch die landesweiten Kommunalwahlen.
Deswegen befürchten viele Experten schleichende Politikverdrossenheit oder zumindest eine Wahlermüdung nach der Aufbruchsstimmung vom letzten Jahr. Übrigens, nächstes Jahr gibt es auch einen Urnengang – das neue Staatsoberhaupt muss gewählt werden.
Die Europawahlen finden in der hitzigen politischen Atmosphäre statt, da die neue links-mitterechts-Koalitionsregierung mit Missständen der abgewählte , aber trotzdem relativ populären nationalistisch-konservativen PiS-Partei abrechnet, was gleich drei parlamentarische und live übertragene Untersuchungsausschüsse veranschaulichen. Hinzu kommt der andauernde Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und ein kaum nachlassender Ansturm von Flüchtlingswellen an die Ostgrenze der EU.
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Sie werden von der belarussischen Diktatur nicht ohne Absprache mit Moskau direkt aus dem Nahen Osten nach Europa gelenkt. Angesichts dieser heiklen Bedrohungslage und des Erstarkens populistischer Kräfte im In- und Ausland, gibt es erstaunlich wenige kirchliche Stimmen im Blick auf die Europawahlen im Juni. Weder die römisch-katholische Bischofskonferenz Polens noch der Polnische Ökumenische Rat haben sich zu Wort gemeldet. Noch nicht.
Ein Aufruf zur Europawahl gab es bisher nur seitens des leitenden Bischofs der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen. Bezugnehmend auf das bekannte Kirchenlied "Komm, Herr segne uns" und das Motto der zeitgleich mit der Europawahl stattfindenden Christlichen Begegnungstage im Grenzgebiet Frankfurt (Oder) – S?ubice, betonte Bischof Samiec, man könne den Spruch "Nichts kann uns trennen" entweder als einen frommen Wunsch oder gar Zumutung verstehen.
In der Zeit, wenn radikalisiertes Narrativ die Gemüter erobert, ist die christliche Stimme von Bedeutung. Eine Alternative wäre, sich in einer Blase zu verschanzen und so tun, als ob alles, was außerhalb der kirchlichen Oase passiert, nicht uns beträfe – sagte das Oberhaupt polnischer Lutheraner. Der Bischof erinnerte daran, die Lutheraner seien mit Recht stolz auf ihre demokratische Entscheidungsprozesse in den Gemeinden, Diözesen und der ganzen Weltkirche. Umso mehr, so Samiec, gelte jetzt die Flagge zu zeigen und die Verantwortung zu übernehmen, so dass der kirchliche Spruch "frei in Christus, verändern wir die Welt" nicht zum Lippenbekenntnis wird.
Wir dürfen die Welt mit verfügbaren Werkzeugen verändern und eines von ihnen ist unsere Stimme bei den Europawahlen. Bischof Samiec hob hervor, dass Extremismen, die einfache Lösungen lieferten und auf Ausgrenzung und Stigmatisierung beruhten, die Diskussionen erhitzten und Zwist und Hass säten, was in letzter Zeit besonders in der Slowakei zu beobachten war.
Thomas Klatt, Deutschland:
Es war vor noch gar nicht so langer Zeit, da war fast das ganze Volk in einer Kirche und also gab es Volkskirchen. Vor Wahlen wurden Hirtenbriefe verlesen, um katholischen Gläubigen C-Parteien ans Herz zu legen. Die Evangelischen waren zurückhaltender. Längst aber spricht man bei rasantem Mitgliederschwund nicht mehr von Volkskirchen.
Nun geben beide Kirchen ökumenisch vereint dem Volk wieder eine Wahlempfehlung. Der Aufruf zur Europawahl warnt "eindringlich vor politischen Kräften, die im Sinne eines völkischen Nationalismus das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten oder Herkunft ablehnen und unverblümt die Abschaffung der EU anstreben". Heißt: Nicht AfD wählen!
Die Handreichung des Brüsseler Büros der EKD hingegen erklärt, welche größeren deutschen Parteien überhaupt gewählt werden können. Auch die AfD wird aufgelistet.
Die Bürger sollen sich also ein eigenes Bild machen. Hat man sich da nicht abgestimmt? Auch die Diakonie Deutschland bietet ihren Sozial-O-Mat an, um sich über die sozialpolitischen Positionen der zur Wahl stehenden Parteien zu informieren. Also keine Warnung vor der AfD!
Aber wen interessiert, was Kirchen empfehlen? Noch im Oktober 2023 sagte der Religionssoziologe Detlef Pollack auf Sonntagsblatt.de: "Das Vertrauen in die Kirche ist auf einem Tiefstand." Das heiße allerdings nicht, dass die Kirchen völlig ohnmächtig seien: "Sie können Seelsorge betreiben, sozial-diakonische Aufgaben erfüllen, gute Jugendarbeit und Religionsunterricht anbieten."
Aber Wahlempfehlungen? Einerseits kann man den Kirchen dankbar sein, dass sie sich in der aktuellen Bedrohung der Demokratie zu Wort melden. Aber es ist wohl Illusion, dass sie damit viele Wähler erreichen. Die Prognosen für die AfD lassen erahnen, dass sie da machtlos sind.
Alexandra Barone, Italien:
Im Gegensatz zu Deutschland, wo in den Städten teilweise ein wahrer Plakatwald entstanden ist, spürt man in Italien kaum einen Wahlkampf. Zwar greift die Presse hier und dort die einzelnen Programme der Parteien auf und auf den Flughäfen laufen Videos der verschiedenen Politiker, doch die Europawahl am 9. Juni scheint für die Italiener nicht wichtig genug zu sein.
Dementsprechend hält sich die Kirche – in Italien ist das zum größten Teil die katholische - mit Wahlempfehlung zurück. Das könnte auch daran liegen, dass historisch gesehen, die Italiener sich nicht sonderlich gerne mit Politik und Kirche beschäftigen oder aber auch an der Zurückhaltung von Papst Franziskus zu dem Thema.
Erwähnenswert ist auf jeden Fall der Brief von Kardinal und Präsident der Italienischen Bischofskonferenz (CEI), Matteo Maria Zuppi, und dem Vorsitzenden der EU-Bischofskommission COMECE, Monsignore Mariano Crociata. In dem Brief, den die Geistlichen anlässlich des Europatages am 9. Mai an die Europäische Union gerichtet haben, bezeichnen sie die EU als "unsere Heimat, unser erstes gemeinsames Haus" und rufen dazu auf, "die Versuchung des Nationalismus" zurückzuweisen. Am Ende des fünfseitigen Briefes richten die beiden Geistlichen einen herzlichen Appell zur Wahl an alle, an die Kandidaten wie an die Bürger, damit sie "spüren, wie wichtig es ist, diese staatsbürgerliche Geste der Teilnahme am Leben und am Wachstum der Europäische Union zu vollziehen". Denn nicht wählen zu gehen, sei nicht dasselbe wie neutral zu bleiben.
Auch einzelne Kirchenzeitungen und -webseiten nehmen das Thema auf und appellieren an die 20 Millionen von rund 47 Millionen wahlberechtigten Italiener, die laut einer Umfrage gar nicht wählen gehen werden. Doch aufgrund der geringen Auflagen werden diese Nachrichten wohl nur von wenigen Menschen gelesen. Den Kirchenvertretern bleibt wohl nur noch das persönliche Gespräch mit ihren Mitgliedern, um eine Empfehlung auszusprechen.