Berlin (epd). Der Expertenrat für Klimafragen sieht Deutschland weiterhin nicht auf dem Weg zur Einhaltung der Klimaziele bis 2030. In einem am Montag in Berlin vorgestellten Sondergutachten kommen die Experten zu einer pessimistischeren Einschätzung als die Bundesregierung. Zwar würden die klimaschädlichen Gesamtemissionen bis 2030 deutlich sinken. Das Ziel einer Minderung um 65 Prozent gegenüber 1990 werde aber verfehlt werden, sagte der Vorsitzende Hans-Martin Henning.
In der Folge würden nach jetzigem Stand auch die Ziele für die kommenden Jahre bis 2040 (minus 88 Prozent) und 2045 nicht erreicht. Von 2045 an soll Deutschland klimaneutral wirtschaften. Den Prognosen des Expertenrats ist das aber selbst bis 2050 nicht zu schaffen, wenn nicht mehr für den Klimaschutz getan wird. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte demgegenüber Mitte März nach der diesjährigen Veröffentlichung der Treibhausgas-Daten durch das Umweltbundesamt (UBA) erklärt, Deutschland sei auf erstmals auf einem guten Weg, seine Klimaschutzziele zu erreichen.
Dem Expertenrat zufolge werden indes die vorausgesagten Emissionen in den Sektoren Energie, Gebäude und Verkehr sowie auch durch die Industrie unterschätzt. Etliche Faktoren, die den Klimagas-Ausstoß beeinflussen können, seien bei den jüngsten Berechnungen nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dazu zählten auch die Kürzungen im Klima-und-Transformationsfonds zur Finanzierung der Energiewende infolge des Verfassungsgerichtsurteils vom vorigen Jahr.
Die stellvertretende Vorsitzende des Gremiums, Brigitte Knopf, forderte die Bundesregierung auf, insbesondere in den Sektoren Verkehr und Gebäudewirtschaft sofort zusätzliche Maßnahmen zu prüfen, statt erst nach einer zu erwartenden, erneuten Verfehlung der Treibhausgas-Minderungsziele im kommenden Jahr zu handeln.
Hintergrund des Drängens aus dem Expertenrat ist die Neufassung des deutschen Klimaschutzgesetzes, wonach künftig die Bundesregierung immer erst dann weitere Klimaschutzmaßnahmen ergreifen muss, wenn die Minderungsziele - anders als vorausgesagt - zwei Jahre in Folge verfehlt werden. Das Kanzleramt selbst oder ein Klimakabinett solle die Verantwortung übernehmen, schlugen die Wissenschaftler vor.
Das Bundeswirtschaftsministerium nahm die kritische Enschätzung des Expertenrats zum Anlass, an die Kosten der Energiewende zu erinnern. Habecks Sprecher Stephan Gabriel Haufe sagte, die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds werde Gegenstand der Haushaltsberatungen für 2025 sein. Der Expertenrat zeige die Schwachstellen der Klimaschutzpolitik auf. Das sei auch sein Auftrag, sagte Haufe und versicherte: „Wir nehmen das sehr ernst.“
Der Expertenrat für Klimafragen ist ein unabhängiges Gremium von fünf Sachverständigen. Sie werden von der Bundesregierung für jeweils fünf Jahre benannt. Die Fachleute prüfen, ob und wie Deutschland die Höchstgrenzen für den Ausstoß klimaschädlicher Triebhausgase einhält, die das Klimaschutzgesetz vorsieht, und geben Empfehlungen ab. In diesem Jahr sorgt der Expertenrat mit dem von der Regierung selbst beauftragten Sondergutachten dafür, dass die Klimapolitik der Bundesregierung erstmals anhand des novellierten Klimaschutzgesetzes beurteilt wird.
Das Umweltbundesamt hatte Mitte März Daten zu den Treibhausgasemissionen 2023 und Vorausberechnungen von 2024 bis 2030 veröffentlicht. Im vergangenen Jahr waren die Treibhausgasemissionen um 10,1 Prozent gesunken und damit so deutlich wie seit 1990 nicht. Das ging aber auch auf die schwache Konjunktur zurück.
Insgesamt wurden 2023 dem Umweltbundesamt zufolge rund 673 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt, 76 Millionen Tonnen weniger als 2022. Aus den aktuellen Zahlen ergaben sich dann auch positivere Prognosen bis 2030 als es bisher der Fall war: Laut UBA könnten bis dahin die Emissionen um 64 Prozent gegenüber 1990 sinken, das wäre nur ein Prozentpunkt weniger als die deutschen Klimaschutzziele bis 2030 vorschreiben.