Berlin (epd). Der Vorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), Uwe Klemens, rügt die Tatenlosigkeit der Regierung und fordert höhere Steuerzuschüsse für die Pflegekassen. Anlässlich der schnell steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen ging der Kassen-Chef Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Montag in Berlin direkt an: Lauterbach kündige indirekt „die nächste Welle von Beitragssatzerhöhungen“ im Jahr 2025 an, statt endlich ein nachhaltiges Finanzierungskonzept vorzulegen. Die Probleme der Pflegeversicherung seien „alles andere als neu“, kritisierte der Verbands-Chef.
Aus den Statistiken der Pflegekassen lässt sich ein unerwartet hoher Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland ablesen. Das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, Ende Dezember 2023 seien rund 5,2 Millionen Menschen pflegebedürftig gewesen, die bei den gesetzlichen Kassen versichert sind. Hinzu kamen rund 312.000 Privatversicherte. Gegenüber dem Jahresende 2022 seien damit 360.000 pflegebedürftige Menschen mehr statistisch registriert. Das entspricht einem Anstieg um 7,4 Prozent.
Gesundheitsminister Lauterbach hatte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ gesagt, demografisch bedingt habe man nur mit einem Anstieg um 50.000 gerechnet. Eine Sprecherin des Ministeriums erklärte, dabei habe es sich um eine Prognose gehandelt. Das Ministerium prüfe, woraus genau sich die Differenz ergebe. Lauterbach hatte darauf hingewiesen, dass möglicherweise zusätzlich zu den älteren Pflegebedürftigen zunehmend Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen der 1950er und 1960er Jahre Hilfe bräuchten.
Ob Lauterbach in Kürze ein Konzept für die Finanzierung der Pflege vorlegt, ließ er offen. Die daran arbeitende interministerielle Arbeitsgruppe werde „kaum zu einer einheitlichen Empfehlung aller Beteiligten kommen“, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Eine Sprecherin erklärte, der Bericht werde Ende Mai fertiggestellt und zunächst regierungsintern abgestimmt, bevor er dem Kabinett vorgelegt werde.
Der grüne Koalitionspartner drückte hingegen aufs Tempo. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Maria Klein-Schmeinck sagte, die Ergebnisse der Ministeriums-Arbeitsgruppe müssten nun kommen: „Unser Ziel bleibt es, dass Pflege gerecht und verlässlich finanziert wird, und das so schnell wie möglich“, sagte sie. Leistungen, die nicht Aufgabe der Pflegeversicherung seien, wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, müssten aus Steuermitteln finanziert werden, forderte die Grünen-Politikerin.
Die Diakonie Deutschland äußerte sich ähnlich. Vorstandsmitglied Maria Loheide sagte, der dramatische Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Menschen zeige, wie dringend eine umfassende Reform sei: „Jetzt nicht zu reagieren, ist grob fahrlässig und gefährdet die menschenwürdige Pflege vieler Menschen“ drängte Loheide. Lauterbach müsse dafür sorgen, dass sich die Koalition endlich über die Finanzierung der Pflege einige.
DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel erklärte, die Leidtragenden der Verzögerungen seien die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Die Pflege werde immer teurer, viele verzichteten bereits auf Leistungen, die sie eigentlich benötigten. Der Arbeitgeberverband Pflege, der rund 950 private Pflegeanbieter mit 80.000 Beschäftigten vertritt, bescheinigte Lauterbach, zwar die ernste Lage der Altenpflege erkannt zu haben, Reformen aber weiter zu verschleppen.