Mainz (epd). In Deutschland nutzen politische Parteien die weitreichenden Möglichkeiten sozialer Netzwerke zur Wahlwerbung und Beeinflussung der Wähler bislang nur in geringem Ausmaß. Die Parteien hätten dazu kaum die nötigen Ressourcen, sagte der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Simon Kruschinski dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bei einem typischen Landtagswahlkampf müssten sich etwa, Praktikanten mitgezählt, oft fünf oder sechs Personen pro Partei um den Social-Media-Bereich kümmern. Dennoch bestünden auch Risiken für das demokratische System.
Bei Wahlwerbung im Internet würden Informationen in Deutschland meist nur nach groben Filtern ausgespielt, sagte der Co-Autor einer kürzlich veröffentlichten internationalen Vergleichsstudie. Kruschinski und seine Forscher-Kollegen hatten sich dafür jahrelang intensiv mit Kampagnenstrategen, Datenspezialisten und Social-Media-Redakteuren ausgetauscht. Kampagnen zielten beispielsweise darauf ab, dass Anzeigen von Direktkandidaten nur Nutzern im jeweiligen Wahlkreis angezeigt würden, was durchaus legitim sei.
„Wenn die Parteien damit beginnen, unterschiedlichen Zielgruppen widersprüchliche Aussagen zukommen zu lassen, bekommen wir ein großes Problem, wenn etwa Jüngere andere Aussagen lesen als Ältere“, warnte Kruschinski, der am Institut für Publizistik der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität forscht. Es gebe bereits Versuche auszutesten, wie weit solche Praktiken von den Internetanbietern toleriert würden.
Unternehmen wie Facebook werteten die Datenspuren aus, die jeder Nutzer im Internet hinterlasse und analysierten die Vorlieben der Freunde, um Zielgruppen für politische Werbung auszuwählen. Das Risiko der Wählermanipulation bestehe auch darin, dass letztendlich die Konzerne darüber entschieden, welcher Internet-Nutzer welche Inhalte angezeigt bekomme und welche Nutzergruppen vielleicht als zu unwichtig für politische Kommunikation eingestuft würden. Die Funktionsweisen der Algorithmen bleibe ein großes Geschäftsgeheimnis. „Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, was es bedeutet, Daten von sich preiszugeben. Da sehen wir ein Wissensloch“, sagte der Wissenschaftler.
Wesentlich intensiver als in Deutschland würden die Möglichkeiten des Internets in Wahlkämpfen in den USA genutzt. Dort werde dafür nicht nur unvergleichbar mehr Geld investiert, auch Datenschutzregelungen seien viel lascher. Zudem seien die politischen Vorlieben vieler Amerikaner bedingt durch das Wahlsystem bereits bekannt, weil sie sich zur Teilnahme an den Vorwahlen als Anhänger einer der beiden großen Parteien registriert hätten.
„Demokraten und Republikaner verwenden feinmaschige Analysen“, sagte Kruschinski. „Einige Wählergruppen der jeweils anderen Partei erhalten demobilisierende Informationen.“ So seien in schwarzen Wohnvierteln, die ohnehin traditionell Demokraten wählen, im Präsidentschaftswahlkampf 2016 gezielt Informationen gegen die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, platziert worden, damit die Wähler zu Hause blieben.