Die Handlung ist von deprimierender Tristesse, aber Regisseur Andreas Herzog hat seinem Film gemeinsam mit Kamera und Szenenbild eine Farbenfreude verliehen, die in krassem Kontrast zum erzählten Drama steht: Mascha Kovicz ist heroinabhängig und hat einen einträglichen Weg gefunden, um ihre Sucht zu finanzieren. Während sie auf der Tanzfläche einen Mann ablenkt, leert ihre kleine Tochter Holli sein Portemonnaie. Als die beiden auf dem Weg zu ihrer Unterkunft in ein Haus einsteigen, entdecken sie die Leiche einer alten Frau. Verständlicherweise ruft Mascha nicht die Polizei; stattdessen bringt sie ihr eigenes Leben ebenfalls in Gefahr.
Herzog gehört spätestens seit dem ARD-Mehrteiler "Die Toten von Marnow" hierzulande zu den Besten im Krimifach. Der frühere Schnittmeister hat auch den letzten Film mit dem Duo Anneke Kim Sarnau und Lina Beckmann ("Nur Gespenster", 2023) gedreht; hier wie dort war Marcus Kanter für die Bildgestaltung verantwortlich. Schon allein der Auftakt ist pure Kunst: Die ersten Bilder zeigen Mutter und Tochter kuschelnd im Refugium einer Gartenlaube, doch das Licht ist grau mit leichtem Grünstich und die Atmosphäre daher alles andere als heimelig. Die Kneipe, in der Holli in großer Menge Seifenblasen produziert, ist in barbiehaftes Rosarot getaucht, das jedoch umgehend dem düsteren Anfangslicht weicht, als sich Mascha auf dem Klo einen Schuss setzt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Maskenbild lässt Meira Durand ohnehin wie eine wandelnde Tote wirken.
Die kräftige Kolorierung prägt auch den zweiten Erzählstrang, der mitunter allerdings zu weitschweifig ist. Das Drehbuch von Elke Schuch führt fort, was ihre Kollegin Astrid Ströher im letzten Film begonnen hat: Katrin König muss sich an ihrem Erzeuger abarbeiten. Die abweisende Reaktion der ohnehin kühl kontrollierten Kommissarin auf das Wiedersehen ist verständlich, ihr Vater (Wolfgang Michael) hat es vierzig Jahre lang nicht für nötig befunden, ein Lebenszeichen von sich zu geben, und dass er sich nun wie ein Stalker verhält, macht die Sache nicht besser. Allerdings kommt die Handlung auf dieser Ebene gerade gemessen an der Ausführlichkeit, mit der Herzog sie erzählt, kaum von der Stelle, zumal sich die Auseinandersetzungen wiederholen: Er will Nähe, sie will Abstand. Dass Melly Böwe ihr gut zuredet, sich mit dem Alten zu versöhnen, macht die Sache aus Königs Sicht nicht besser. Die Findungsphase der beiden gegensätzlichen Frauen ist immer noch nicht abgeschlossen; die entsprechenden Szenen sind weitaus interessanter als der Vater/Tochter-Konflikt.
Uneins sind sich die Kolleginnen auch beim Umgang mit Mascha: Böwe setzt auf Verständnis, König will auf die harte Tour rauskriegen, was die Junkiefrau über das Ableben von Vera Bödecke weiß. Der Tod der alten Frau ist zwar als Haushaltsunfall inszeniert worden, aber sie wurde zweifelsfrei erstickt, und zwar mit einem Kissen, wie Mascha weiß; das war jedoch verschwunden, als die Polizei am Tatort erschien. Hauptverdächtig ist zunächst der deutlich jüngere Witwer, doch Konrad Bödecke bringt einen Wohlfahrtsverband für Seniorenpflege ins Spiel: Er hat die Ersparnisse seiner Frau hinter ihrem Rücken in einen Immobilienfonds der Organisation investiert. Weil Vera, früher Wirtschaftsjournalistin, Nachforschungen angestellt hat, was mit dem Geld passiert, sei sie zum Schweigen gebracht worden. Tatsächlich stößt Böwes Kollege Thiesler (Josef Heynert) auf Ungereimtheiten, aber der neue Staatsanwalt (Maximilian Dirr) überzeugt ihn, dass an den Behauptungen nichts dran ist.
Autorin Schuch hat ohnehin dafür gesorgt, dass Thiesler und Pöschel (Andreas Guenther) diesmal wieder mehr zu tun haben und nicht bloß an ihren Schreibtischen sitzen; das tut dem Film eindeutig gut. Neben der wie stets vorzüglichen Musik von Chris Bremus sorgen sorgsam ausgewählte Popsongs für Handlungskommentare; zu Beginn in der Kneipe erklingt "Eisbär" in der kühlen Version von Prada Meinhoff. Die Textzeile "Eisbären müssen nie weinen" bezieht sich allerdings nicht auf Mascha, sondern wie der Filmtitel "Diebe" auf die Finanzwelt, die Fantasie-Renditen verspricht und sich keinen Deut um die Schicksale ihrer Kundschaft schert. Die tragische Figur der Geschichte ist jedoch die ambivalente Mascha: einerseits Junkie, andererseits liebende Mutter, die Holli eine Art Villa Kunterbunt geschaffen hat und sich todesmutig in die Höhle des Löwen begibt, um sich und dem Kind eine bessere Zukunft zu erpressen.