Berlin, Hannover (epd). Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hat die Regierungsfraktionen im Bundestag aufgefordert, die bevorstehende Abstimmung über die Legalisierung von Cannabis freizugeben. Er erklärte am Freitag in Berlin: „Hier geht es um eine wichtige gesellschaftliche Weichenstellung, bei der die Fraktionsdisziplin gegenüber der persönlichen Verantwortung der Abgeordneten zurücktreten muss.“ Deshalb sei es richtig, wenn das Parlament in namentlicher Abstimmung entscheide, fügte er hinzu.
Die Legalisierung von Cannabis werde die gravierenden gesundheitlichen Schäden durch die Droge weiter verschlimmern, erklärte Reinhardt und verwies auf die deutsche und internationale Studienlage. Bereits im Dezember 2023 hatte die Bundesärztekammer gemeinsam mit Fachverbänden aus dem Gesundheitswesen, der Pädagogik und von Polizei und Justiz alle Bundestagsabgeordneten persönlich gebeten, dem Gesetz nicht zuzustimmen.
Dem Gesetzentwurf zufolge sollen Erwachsene begrenzte Mengen von Cannabis besitzen, konsumieren und zu Hause anbauen dürfen. Außerdem sollen Anbau und Abgabe der Droge im Rahmen von kontrollierten Cannabis-Clubs erlaubt werden. Für den öffentlichen Konsum soll es zahlreiche Regeln geben, etwa, dass er in Sichtweite von Schulen, Spielplätzen, Kitas und Jugendeinrichtungen verboten ist. Für Jugendliche bis 18 Jahre bleiben Besitz und Konsum verboten.
Die Unionsfraktion im Bundestag hatte vor kurzem ebenfalls eine namentliche Abstimmung, nicht aber die Aufhebung des Fraktionszwangs gefordert. Damit will die Opposition deutlich machen, dass es auch in den Reihen der Koalition Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes gibt. Zuletzt hatte der SPD-Abgeordnete Sebastian Fiedler erklärt, er rechne mit einer zweistelligen Anzahl von Nein-Stimmen in seiner Fraktion. Die Abstimmung ist noch für Februar geplant. Die Fachpolitiker von SPD, Grünen und FDP hatten sich zuvor auf zahlreiche Änderungen an dem ursprünglichen Entwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verständigt.
Das Cannabis-Gesetz soll am 1. April in Kraft treten. Der Bundesrat müsste es spätestens am 22. März billigen. Die Länderkammer muss dem Gesetz nicht zustimmen, damit es in Kraft treten kann, kann aber mit einer Mehrheit Einspruch einlegen. Die Bundesländer stehen den Neuregelungen sehr kritisch gegenüber. Sie fürchten massive Mehrarbeit bei Polizei und Justiz.
Mehrere niedersächsische Ministerien übten am Freitag in Hannover Kritik an dem Gesetzentwurf. Er sei ein „schlechter Kompromiss“, sagte eine Sprecherin von Innenministerin Daniela Behrens (SPD). Er sei nicht praxistauglich. Polizei und Justiz würden nicht entlastet, weil die Kontrollvorschriften „sehr komplex“ seien. Das Justizministerium kritisierte die rückwirkenden Folgen für Haftstrafen. Wenn das Gesetz in Kraft trete, müssten alle Inhaftierten, gegen die zurzeit eine Strafe wegen eines künftig nicht mehr strafbaren Drogendeliktes vollstreckt werde, aus der Haft entlassen werden. Allein in Niedersachsen müssten dafür etwa 16.000 Akten durchgesehen werden.