Berlin (epd). In der Bundesregierung gibt es Streit über das geplante EU-Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz verpflichten soll. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die FDP das auf EU-Ebene bereits vereinbarte Vorhaben nicht mittragen will. Im Rat der EU habe dies eine Enthaltung Deutschlands zur Folge, die im Ergebnis wie eine Nein-Stimme wirke, heißt es in einem an Verbände übermittelten Schreiben von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann (beide FDP), das dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der federführend über die Richtlinie verhandelt hat, will aber noch nicht aufgeben.
Er empfehle der Bundesregierung „dringend eine Zustimmung zum Richtlinienvorschlag“, sagte Heil der „Augsburger Allgemeinen“. „Wir können und dürfen unsere Augen nicht vor Kinder- und Zwangsarbeit verschließen“, sagte er. Heil bot der FDP „ein Paket für eine Entlastung von unnötiger Bürokratie und faire Wettbewerbsbedingungen“ für die Wirtschaft an. Unter anderem sollen die bislang nach dem deutschen Lieferkettengesetz gültigen Berichtspflichten entfallen.
In Deutschland gilt bereits seit 2023 ein nationales Lieferkettengesetz. Lange wurde um die Regelung gerungen, die vielen Nichtregierungsorganisationen nicht weit genug geht. Die geplante EU-Richtlinie, die in nationales Gesetz umgesetzt werden müsste, geht teilweise über das deutsche Gesetz hinaus. Sie soll Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über 150 Millionen Euro verpflichten, Standards in den Lieferketten sicherzustellen. Das deutsche Gesetz gilt aktuell für rund 3.000 Firmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten, hat aber keine Umsatzgröße definiert. Anders als das deutsche Gesetz soll die EU-Regelung auch die Möglichkeit für zivilrechtliche Haftungen vorsehen.
Den FDP-Ministern Lindner und Buschmann geht das zu weit. Aus Kreisen des Justizministeriums hieß es, das geplante Gesetz gehe weit über das hinaus, was für „praxistauglich und zumutbar“ erachtet werde. Die Politiker fürchten um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und nicht zu bewältigende bürokratische Lasten.
EU-Kommission, EU-Parlament und Mitgliedsstaaten hatten sich im Dezember im sogenannten Trilog-Verfahren auf das EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Im Regelfall ist die anschließende finale Abstimmung über den Gesetzestext durch die EU-Staaten und das Parlament dann nur noch Formsache. Mit der Enthaltung Deutschlands ist unklar, ob es unter den EU-Ländern noch eine Mehrheit für das Vorhaben geben wird. Die entscheidende Abstimmung der EU-Staaten erfolgt voraussichtlich am 9. Februar.
Die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini (Grüne) zeigte sich empört über die Haltung der FDP. Seit zwei Jahren habe die Bundesregierung das europäische Lieferkettengesetz mitverhandelt und sich in fast allen zentralen Punkten durchgesetzt, sagte sie. Der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken nannte die „FDP-Blockade“ einen Schlag ins Gesicht von Millionen von Menschen, die weltweit unter rücksichtslosen Geschäftspraktiken litten. Die Initiative Lieferkettengesetz, ein Bündnis aus mehr als 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen, forderte Bundeskanzler Olaf Scholz dazu auf, seine Richtlinienkompetenz zu nutzen und dem EU-Lieferkettengesetz zuzustimmen.
In der Wirtschaft stößt das Vorhaben auf geteiltes Echo. Große Verbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lehnen das Gesetz ab. Sie sprechen aber nicht für alle Unternehmen. Eine Allianz europäischer Konzerne von Aldi über Ikea bis hin zu Unilever oder Hapag-Lloyd begrüßt das Lieferkettengesetz ausdrücklich. Gerade deutsche Unternehmen könnten profitieren, weil sie sich bereits an das deutsche Lieferkettengesetz halten müssen. Ein EU-Gesetz würde einheitliche Regeln für alle schaffen.