Berlin (epd). Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, erhofft sich von der Studie über Missbrauch in der evangelischen Kirche Erkenntnisse über strukturelle Mängel der Institution, schließt aber auch personelle Konsequenzen nicht aus. „Wir wissen nicht, ob die Studie konkret Personen benennen wird“, sagte die Hamburger Bischöfin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das liege in der unabhängigen Entscheidung der Wissenschaftler, erklärte sie.
Fehrs betonte, ihr gehe es bei der sogenannten ForuM-Studie darum, „die systemischen Faktoren von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie identifizierbar und dadurch auch veränderbar zu machen“. Gleichzeitig betonte sie: „Wo Verantwortung im Umgang mit einzelnen Taten liegt, muss sie getragen werden.“
Annette Kurschus war im November im Zusammenhang mit einem Missbrauchsverdacht in ihrem früheren Arbeitsumfeld in Siegen vom Amt der Ratsvorsitzenden und als westfälische Präses zurückgetreten. Vorgeworfen wurde ihr vor allem mangelnde Transparenz im Umgang mit dem Fall, der nach ihrer eigenen Auskunft einen guten Bekannten betrifft. Fehrs sagte, es seien kommunikative Fehler passiert. „Künftig müssen wir mit Verfahren, in denen es um sexualisierte Gewalt geht, deutlich schneller und transparenter umgehen“, erläuterte die Theologin, die nach dem Rücktritt von Kurschus kommissarisch an der Spitze der EKD steht. Das gelte auch für die mediale Öffentlichkeit.
Die ForuM-Studie, die im Auftrag der EKD Ausmaß und Risikofaktoren sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie untersucht, soll Ende Januar veröffentlicht werden. Fehrs rechnet „mit einem komplexen Bericht von mehreren hundert bis tausend Seiten“, dessen Auswertung Zeit beanspruchen werde. Enthalten seien eine quantitative und vier qualitative Teilstudien.
Bislang weiß die EKD Fehrs zufolge von 858 Fällen von sexualisierter Gewalt, in denen sich die Betroffenen bei den zuständigen Stellen der Landeskirchen gemeldet haben. „Wir wissen aber selbst, dass dieses nur ein Teil der Fälle ist und dass die Gesamtzahl deutlich höher liegt“, sagte sie. Die erwartete Studie werde „erstmals systematisch und unabhängig das Hellfeld zusammenführen“.
Die Ratsvorsitzende geht nach eigenen Worten davon aus, dass die Bedeutung des Themas für die Glaubwürdigkeit der Kirche inzwischen von allen Führungspersonen erkannt wurde. Es komme aber auch darauf an, dass jede und jeder wisse, „was es genau heißt, im konkreten Fall und vor Ort betroffenen- und traumasensibel zu handeln“. Vielfach werde von Betroffenen gesagt, dass sie durch die Behandlung mit kirchlichen Stellen erneut traumatisiert würden. „Das darf nicht sein“, sagte Fehrs.