Karlsruhe (epd). Schülerinnen und Schüler mit einer Legasthenie müssen in ihrem Abiturzeugnis regelmäßig einen Vermerk über nicht benotete Rechtschreibleistungen hinnehmen. Verfassungswidrig ist es allerdings, wenn solch ein Hinweis über einen sogenannten „Notenschutz“ ausschließlich bei Legasthenikern vorgenommen wird und nicht auch bei Schülern, bei denen aus anderen Gründen die Rechtschreibleistung nicht in die Benotung eingeflossen ist, entschied am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht. (AZ: 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2578/15 und 1 BvR 2579/15)
Die Karlsruher Richter hielten damit eine 2010 in Bayern früher geltende Verwaltungspraxis für grundgesetzwidrig. Die damaligen bayerischen Regelungen sahen vor, dass Schüler mit einer Lese-Rechtschreibstörung einen „Notenschutz“ beantragen konnten. In diesem Fall wurden Rechtschreibfehler nicht bei der Benotung im Abiturzeugnis berücksichtigt. Allerdings wurde dies im Zeugnis entsprechend vermerkt.
Die drei aus Bayern stammenden Beschwerdeführer fühlten sich wegen des Hinweises in ihrem Abiturzeugnis aufgrund ihrer Behinderung diskriminiert. Das Bundesverwaltungsgericht hielt mit Urteil vom 29. Juli 2015 das Vorgehen Bayerns für rechtmäßig (AZ: 6 C 33.14 und 6 C 35/14). Könnten Schüler wegen ihrer Legasthenie eine weniger strenge Benotung beanspruchen, dürfe im Zeugnis dann auch vermerkt werden, welche Leistungen nicht bewertet wurden.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass Bemerkungen im Abiturzeugnis über die Nichtbewertung einzelner Leistungen regelmäßig erforderlich sind. Denn das Zeugnis diene dem „mit Verfassungsrang versehenen Ziel“, dass alle Schülerinnen und Schülern entsprechend ihrer schulischen Leistungen und Fähigkeiten Zugang zu Ausbildung und Beruf finden können. Sei aus dem Abiturzeugnis nicht erkennbar, dass prüfungsrelevante Leistungen nicht in die Benotung eingeflossen sind, würden letztlich im Abiturzeugnis Leistungen bescheinigt, die nicht erbracht worden sind. Es gebe aber viele Berufe, für die der Nachweis über das Beherrschen der Rechtschreibung erforderlich sei.
Die 2010 in Bayern damals geltende Verwaltungspraxis sei dennoch verfassungswidrig und stellte eine unzumutbare Schlechterstellung der Beschwerdeführer dar, so die Karlsruher Richter. Denn der Notenschutz-Vermerk im Abiturzeugnis wurde ausschließlich bei legasthenen Schülern vorgenommen. Bei anders behinderten Schülern, bei denen die Rechtschreibleistung ebenfalls nicht in der Benotung berücksichtigt wurden, fand sich im Zeugnis darüber kein Hinweis.