Stade (epd). Alt-Bundespräsident Christian Wulff sieht die Demokratie in Deutschland in Bedrängnis. „Die größte Gefahr für die Zukunft ist politische Ignoranz und eine Entfremdung von unserer Demokratie“, sagte Wulff am Freitagabend in Stade als Gastredner beim Michaelis-Empfang des dortigen evangelischen Sprengels. Die Sorgen um Inflation, Klimawandel, Krieg und weltweite Migrationsbewegungen machten die Menschen anfällig für Nationalismus, Rassismus und Populismus.
Die Demokratie sei von innen gefährdet, weil zu viele Menschen sie für selbstverständlich und unverletzlich hielten. Sie brauche viele Menschen, die sie beschützten, sagte der Alt-Bundespräsident. Dazu brauche es „Engagierte mit sehenden und hörenden Herzen“ sowie Menschen, die bereit seien, sich wählen zu lassen. „Es reicht überhaupt nicht aus, nur von der Tribüne aus zu kommentieren.“ Politiker niederzumachen, sei einfach. Selber machen sei dagegen schwierig.
Der Alt-Bundespräsident erinnerte auch an die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. NS-Diktator Adolf Hitler hatte nach seinen Worten „eine breite Unterstützung in der Bevölkerung und er hatte Unterstützerkreise bis in die Industrie und akademische Kreise hinein“. Alles deute darauf hin, dass Menschen in Krisenzeiten - damals wie heute - bereit seien, die Demontage der Demokratie zu riskieren.
Der gastgebende evangelische Stader Regionalbischof Hans Christian Brandy warb für eine Kultur des Zuhörens, ohne das Gegenüber zu diskreditieren: „Demokratie und Frieden brauchen die Bereitschaft zur Vergebung.“ Die Kernbotschaft des Glaubens befähige Menschen, „für eine Kultur der Barmherzigkeit in unserer Gesellschaft einzustehen“.