Quito (epd). Die Drogenkriminalität hat in Ecuador nach Einschätzung der Frauenrechtlerin Juana Francis zu einer kollektiven Angst geführt. „Stell Dir eine Stadt vor, in der um 16:30 alle Geschäfte schließen“, beschreibt sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressdienst (epd) den Alltag in der Küstenstadt Esmeraldas. Mütter wollten ihre Kinder nicht mehr zur Schule schicken, weil sie nicht wüssten, wo als nächstes Schüsse fallen. Besonders im vergangenen Jahr habe die Gewalt spürbar zugenommen, sagt die Leiterin des Kollektivs „Frauen des Asphalt“, das sich für die Rechte von Afro-Ecuadorianerinnen einsetzt.
In der nördlichen Provinz Esmeraldas an der Grenze zu Kolumbien stellen Nachfahren afrikanischer Sklaven die Bevölkerungsmehrheit. Wegen ihrer üppigen Pflanzenwelt wurde sie einst „grüne Provinz“ genannt. 2022 war sie laut der Organisation InSight Crime die Region mit der dritthöchsten Mordrate Lateinamerikas. Die Gewalt hat ihr die Bezeichnung „rote Zone“ eingebracht.
„Wenn man über die Gewalt spricht, muss man auch über strukturellen Rassismus sprechen“ betont Francis. Es sei kein Zufall, dass die ärmsten Viertel am gefährlichsten seien. Gerade dort sei die Abwesenheit des Staates offenkundig und habe die Entwicklung der kriminellen Banden erst ermöglicht. Um Geld zu sparen, habe die Regierung mitten in der Corona-Pandemie ihre Investitionen in Gesundheit und Bildung zusammengestrichen, Institutionen geschlossen und lokale Entwicklungsprojekte eingestampft.
Dies habe auch Auswirkungen auf die politische Teilhabe, die für Afro-Ecuadorianerinnen seit jeher mit großen Herausforderungen verbunden sei. Doch in der aktuellen Gewaltwelle hätten sie nicht die Möglichkeit gesehen, am Wahlkampf teilzunehmen. „Und leider haben die Ereignisse uns recht gegeben“, sagt sie mit Blick auf die Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio.
„Das ganze Land hat das Vertrauen in den Staat verloren“, sagt die Aktivistin. Nun habe Präsident Guillermo Lasso erneut den Notstand ausgerufen - zum 17. Mal in zwei Jahren. „Sie schicken das Militär und wollen uns glauben machen, dass mehr Waffen mehr Sicherheit bedeuten.“
Ecuador war bis vor wenigen Jahren eines der sichersten Länder der Region. Nach der Demobilisierung der Farc-Guerilla in Kolumbien 2016 entstand in der Grenzregion ein Machtvakuum im Drogenhandel, um die nun lokale Banden und internationale Kartelle kämpfen. Der Staat hat dem kaum etwas entgegenzusetzen.
Für eine umfassende Bekämpfung der Gewalt muss nach Einschätzung Francis' als Erstes der gesellschaftliche Zusammenhalt gefördert werden. Die Behörden müssten zusammen mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation einen Sicherheits- und Entwicklungsplan erarbeiten. „Eine Neustrukturierung des Staates braucht Zeit. Aber es beginnt damit, dass der Staat seine Aufgaben wieder in die Hand nimmt!“