Die Bundesländer scheuen sich vor einer Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Landesregierungen der 14 Länder, die Staatsleistungen zahlen, ergab, hat die Ablösung für die überwiegende Mehrheit keine Priorität. Einige sehen das wegen der derzeit angespannten Haushaltslage dezidiert kritisch. Es sei ein schlechter Zeitpunkt, hieß es etwa aus Thüringen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.
Man sei grundsätzlich offen gegenüber diesem Vorhaben der Bundesregierung, zentrale Fragen müssten aber noch geklärt werden, erklärten wiederum Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Es sei noch "kein für alle Beteiligten konsensfähiges Ablöse-Modell bekannt", sagte ein Sprecher des Brandenburger Kultusministeriums. Viele Länder verwiesen auf die in der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene Position, das Thema zunächst zurückzustellen.
Staatsleistungen erhalten die Kirchen als Entschädigung für die Enteignung kirchlicher Güter und Grundstücke im Zuge der Säkularisierung vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts. Hamburg und Bremen zahlen keine Staatsleistungen. Das Grundgesetz enthält einen aus der Weimarer Reichsverfassung übernommenen Auftrag, diese Entschädigungszahlungen abzulösen. Möglich wäre dies etwa durch Einmal- oder Ratenzahlungen.
Die Ampel-Koalition will das Thema angehen. Ziel sei ein entsprechendes Grundsätzegesetz in dieser Wahlperiode, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums dem epd. Der Bund müsste die Rahmenbedingungen zur Ablösung gesetzlich regeln. Die Gespräche, die darüber Anfang des Jahres in einer Arbeitsgruppe mit Vertretern von Bund, Ländern und Kirchen geführt wurden, liegen aber wegen des Widerstands der Länder derzeit auf Eis.
600 Millionen Euro pro Jahr
Die Länder, die zahlen müssten, verweisen wiederum auf die Notwendigkeit der Regelung durch den Bund. Eine Ausnahme ist Bayern: Vertragliche Ablösungen im Einvernehmen zwischen Staat und Kirchen seien unabhängig von einem Grundsätzegesetz möglich und würden in Bayern insbesondere auf dem Feld staatlicher Baupflichten an kirchlichen Gebäuden seit Jahren praktiziert, hieß es aus dem dortigen Kultusministerium. Ein Sonderfall unter den Ländern ist auch Sachsen, wo nach Angaben der Staatskanzlei in den Kirchenverträgen nach der Wiedervereinigung eine sogenannte Abgeltung in Form der jährlichen Leistungen festgeschrieben wurde. Das Weiterzahlen auf unbefristete Zeit wird dort bereits als Ablösung verstanden.
Wie die Rückmeldungen aus den Bundesländern ergaben, summieren sich die Staatsleistungen inzwischen auf mehr als 600 Millionen Euro pro Jahr. Rund 638 Millionen Euro zahlen die Länder in diesem Jahr, hauptsächlich an evangelische (rund 356 Millionen Euro) und katholische (rund 247 Millionen Euro) Kirche.
Die Höhe und damit die Bedeutung der Staatsleistungen für Kirchen- und Landeshaushalte variiert dabei stark. Baden-Württemberg zahlt mit 141 Millionen Euro die höchste Summe, Sachsen-Anhalt nach eigenen Angaben mit 42,1 Millionen Euro die höchsten Staatsleistungen pro Einwohner. In Bayern summieren sich die Staatsleistungen in diesem Jahr auf 130 Millionen Euro, in Rheinland-Pfalz auf 66,6 Millionen Euro, im Saarland auf eine knappe Million Euro.
Die Kirchen wiederum zeigen sich seit einiger Zeit durchaus offen für die Ablösung. Sie habe angesichts der Haushaltssituation Verständnis für die Zurückhaltung der Länder, für die eine Ablösung eine zusätzliche Belastung darstellen würde, sagte die Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anne Gidion, dem epd. Zugleich stehe man weiter "für eine Kooperation zur Einlösung des Verfassungsauftrags bereit". Es gebe Ablösemodelle, deren Umsetzung sich kurzfristig nicht so stark auf die Haushalte der Länder auswirken würde, sondern langfristige Perspektiven schüfe, ergänzte sie.
Historische Chance zur Ablösung
Der Religionsverfassungsrechtler Peter Unruh sieht die historische Chance, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen. Diese Chance nähre sich aus dem Umstand, dass die aktuelle Bundesregierung das Vorhaben sehr stark vorantreibe, sagte der Präsident des Landeskirchenamtes der Nordkirche dem Evangelischen Pressedienst. Auf der Arbeitsebene sei man bei den Beratungen schon sehr weit gekommen. "Es gibt bislang eine Reihe von Fortschritten und Übereinkünften, die das Ziel in Reichweite gerückt haben. Natürlich wird es um eine Mehrbelastung der Länderhaushalte gehen, und natürlich wissen auch wir, dass die Haushalte durch die derzeitigen Krisen stark belastet sind. Die Länder müssen bei der Ablösung im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit handeln können", sagte Unruh.
Die Beratungen hätten das konkrete Ablösungsmodell noch offen gelassen. Er gehe er aber davon aus, dass auch darüber Einigkeit erzielt werden könne. "Die bisherigen Beratungen sind auf der sachlichen Ebene so erfolgversprechend wie noch nie", sagte Unruh, der selbst an den Gesprächen teilnahm.
Den Kirchen sei wichtig - und das sei auch historisch so gewollt -, dass die Ablösung den Kirchen ermögliche, die Aufgaben, die bisher mit den Staatsleistungen erfüllt worden sind, auch künftig erfüllen zu können. Die Ablösung müsse dazu führen, dass die Kirchen einen Kapitalstock hierfür aufbauen können, erläuterte Unruh.
Historisch vorgesehen sei eine Einmalzahlung mit einem Kapitalisierungsfaktor, mit dem die Gesamtsumme der geleisteten Zahlungen zum Zeitpunkt der Ablösung multipliziert wird. Eine solche Einmalzahlung nannte Unruh "unrealistisch", da sie eindeutig eine Überforderung der Länderhaushalte bedeute.
Zeitliche Streckung über 40 Jahre
Deswegen werde über eine deutliche zeitliche Streckung der Ablösung nachgedacht. Die Länder könnten beispielsweise für etwa 40 Jahre jährlich den doppelten Betrag der in den Staatskirchenverträgen festgeschriebenen Staatsleistungsbeträge zahlen, sagte Unruh. Der Vorteil für die Kirchen bestehe darin, dass sie aus den weiter fortgezahlten Staatsleistungen ihre laufenden Aufgaben finanzieren und gleichzeitig einen Kapitalstock aufbauen könnten für die künftige Erfüllung der Aufgaben, die bisher mit den Staatsleistungen finanziert werden. Dabei handelt es sich neben Ausgaben für die Pfarrbesoldung um Geld unter anderem für Aufgaben, die einen Beitrag für die Gesellschaft leisten, in Themenfeldern wie Seelsorge, Bildung, Kultur und Soziales, die der Staat nicht oder nur partiell bedient.
Für die Länder bedeute der Vorschlag zwar temporär erhöhte Verpflichtungen, die aber Planungssicherheit versprechen und auf etwa vier Jahrzehnte begrenzt seien. Danach trete dauerhaft eine deutliche Entlastung der Länderhaushalte ein.
Politisch liege der Ball zur Fortführung der Beratungen über den Entwurf eines Bundesgrundsätzegesetzes für die Ablösung der Staatsleistungen im Spielfeld des Bundes, betonte Unruh. Die Kirchen begleiteten diesen Prozess "ablösungsfreundlich". Er hoffe aber, dass es gelingen könne, die Länder an den Verhandlungstisch zurückzuholen, wenn man ihnen die langfristigen Vorteile der Ablösung verdeutliche.
Relikt aus napoleonischen Zeiten
Für viele Bürger ist es unverständlich: Der Staat zahlt den Kirchen jährlich Entschädigungen in Millionenhöhe. Die sogenannten Staatsleistungen sind ein Relikt aus napoleonischen Zeiten. Doch was sind Staatsleistungen, und wie können sie abgeschafft werden? Ein Überblick über den Sachstand:
Was sind Staatsleistungen?
Der deutsche Staat hat den Kirchen vor allem während der Reformationszeit und durch die umfassende Säkularisation infolge der napoleonischen Kriege 1803 viele Vermögenswerte entzogen, aus deren Erträgen sie sich vorher finanzieren konnten. Staatsleistungen sind nach Definition des Religionsverfassungsrechtlers Peter Unruh Entschädigungen für in der Vergangenheit erlittene Vermögensverluste der Religionsgemeinschaften. Es handelt sich nicht nur um Geld, sondern sie können auch in der Nutzung von Gebäuden bestehen, die dem Staat gehören. Außerdem sind die Kirchen von der Grundsteuer befreit.
Zu unterscheiden von den Staatsleistungen sind staatliche Subventionen für öffentliche Aufgaben. Diese erhalten kirchliche Träger von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder anderen sozialen Einrichtungen. Hauptsächlich finanzieren sich die Kirchen durch Einnahmen aus der Kirchensteuer.
Was machen die Kirchen mit dem Geld?
Nach Auskunft der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz fließen die Staatsleistungen in die Haushalte ein. Meistens machen sie keinen großen Anteil der Einnahmen aus. Doch kleine Landeskirchen und Bistümer im Osten sind auf die Zahlungen angewiesen. Mit dem Geld bezahlen die Kirchen unter anderem Personalkosten, einige Mittel fließen den Angaben zufolge aber in kirchliche Angebote, die auch Nicht-Mitglieder nutzen können.
Warum sollen die Entschädigungen abgelöst werden?
Im Grundgesetz ist die Verpflichtung zur Ablösung der Staatsleistungen festgeschrieben, sie wurde aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen. Die Staatsleistungen müssen zwar von den Bundesländern abgelöst werden, aber die Grundsätze dafür muss der Bund aufstellen. Ziel ist die saubere Trennung zwischen Kirche und Staat. Nach mehreren gescheiterten Versuchen hat die Ampel-Koalition das Vorhaben in den Koalitionsvertrag aufgenommen.
Ursprünglich sollte ein Entwurf für ein Grundsätzegesetz bis zum Sommer vorliegen. Bund, Länder und Kirchen trafen sich auch schon zu Gesprächen. Das Vorhaben liegt aber auf Eis, weil die Bundesländer mauern.
Welche Vorschläge gibt es?
Experten weisen die gelegentlich vertretene Auffassung zurück, mit den Zahlungen seit 1919 sei bereits eine Ablösung erfolgt. Der Umfang der Ablösungen ist jedoch umstritten. Es geht um die Frage, ob der gesamte Wert aller materiellen und immateriellen Leistungen ersetzt werden muss (Äquivalenzprinzip) oder ob eine angemessene Entschädigung auch hinter dem vollen Wertersatz zurückbleiben kann.
Hinzu kommt Uneinigkeit über die Kalkulation der Ablösesumme. In einem Gesetzentwurf aus der vorhergehenden Legislaturperiode schlugen Linke, FDP und Grünen einen Kapitalisierungsfaktor von 18,6 vor, mit dem der Wert der Staatsleistungen multipliziert würde, damit die Kirchen eine ausreichende Kapitalgrundlage zum Wirtschaften haben.
Diskutiert wird auch ein Rentenmodell, wie es in Sachsen nach 1989 eingeführt wurde. Dann würden die Bundesländer den Kirchen dauerhaft regelmäßig Pauschalbeträge zahlen. Das widerspricht laut dem Kieler Oberkirchenrat Peter Unruh einer Ablösung. Dies sei "Etikettenschwindel". Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, steht einer Rentenlösung hingegen positiv gegenüber.