Frankfurt a.M., Kabul (epd). Nach zwei Jahren Taliban-Herrschaft in Afghanistan prangern Hilfsorganisationen die schwindende Aufmerksamkeit für das Leid der Bevölkerung an. „Afghanistan ist in vielerlei Hinsicht vom Radar verschwunden“, sagte die Sprecherin des „International Rescue Committee“ (IRC) in Kabul, Samira Sayed Rahman, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Hilfsprogramme seien stark unterfinanziert, obwohl sich die Krise in dem Land seit der Rückkehr der Taliban stark verschlechtert habe.
Vor zwei Jahren übernahmen die radikal-islamischen Taliban wieder die Macht in Afghanistan. Seit dem 15. August 2021 kontrollieren sie das Land. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind fast 29 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung (rund 43 Millionen).
Vor allem in den Städten seien in den vergangenen zwei Jahren mehr Menschen in die Armut getrieben worden, sagte Sayed Rahman. In der Hauptstadt Kabul etwa habe sie vor Bäckereien noch nie so viele bettelnde Menschen gesehen wie zuletzt. Überall in der Stadt würden Hilfsgüter verteilt, sagte die IRC-Sprecherin, die nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren in der afghanischen Hauptstadt lebt.
Eine der Hauptursachen für die wachsende Not sei die Wirtschaftskrise, durch die 900.000 Menschen ihren Job verloren hätten. „Wer noch eine Arbeit hat, muss damit mehrere Familien auf einmal versorgen“, sagte Sayed Rahman. Die Menschen müssten sich entscheiden, ob sie Geld für Essen oder das Heizen ausgeben.
Seit ihrer Rückkehr an die Macht haben die Taliban vor allem die Rechte von Frauen und Mädchen stark eingeschränkt. Die weibliche Bevölkerung ist aus weiten Teilen des öffentlichen Lebens verbannt. Weiterführenden Schulen für Mädchen sind größtenteils geschlossen. Die Vorständin der Hilfsorganisation „media mondiale“, Sybille Fezer, sagte dem epd, Frauen sollten im Grunde „komplett aus dem öffentlichen Leben verbannt werden und hinter den Mauern ihrer Häuser verschwinden“. Frauenschutzhäuser seien geschlossen und die Zwangsverheiratung von Kindern nehme stark zu, „auch wegen der katastrophalen humanitären Lage“.
Zugleich betonte Fezer: „Trotz all den Einschränkungen im Land gibt es sehr viel Kreativität, sich dagegen aufzulehnen.“ Selbst in den islamischen Schulen, den Madrasas, gebe es immer wieder subversive Tendenzen und es würden neben dem Koran auch noch andere Inhalte vermittelt. In Frauenkliniken machten Ärztinnen und Hebammen die Patientinnen verdeckt auf Online-Beratungsangebote aufmerksam.
Amnesty International kritisierte die jüngste Entscheidung der Taliban, Schönheitssalons zu schließen. Dadurch würden etwa 60.000 Frauen ihre Beschäftigung verlieren, sagte die Asien-Expertin der Menschenrechtsorganisation, Theresa Bergmann. Zugleich werde „einer der wenigen noch verbliebenen Rückzugsorte für Frauen in der afghanischen Gesellschaft zerstört“.
IRC-Sprecherin Sayed Rahman verwies indes auf die Verbesserung der Sicherheitslage seit dem Abzug der internationalen Truppen im Sommer 2021. „Wir kommen nun in Teile des Landes, die vorher nicht zugänglich waren“, sagte Sayed Rahman. In früher stark umkämpften Regionen sähen manche Menschen das erste Mal in ihrem Leben einen Arzt.
Die Taliban haben zwischen 1996 und 2001 schon einmal Afghanistan weitgehend beherrscht. Auch damals verbannten sie Frauen aus der Öffentlichkeit.