Kampala, Niamey (epd). Mit dem Putsch in Niger ist in einem weiteren westafrikanischen Land das Militär an der Macht. Der Sahel-Experte Olaf Bernau kritisiert die harschen Sanktionen des regionalen Staatenbundes Ecowas. Diese werden die Wirtschaftskrise verschärfen und könnten den Putschisten Aufwind geben, sagte der Publizist und Mitbegründer des Netzwerks „afrique-europe-interact“ dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch der Westen habe die Unzufriedenheit in dem Land ignoriert.
epd: Vor etwas mehr als einer Woche haben Militärs im Niger die gewählte Regierung um Präsident Mohamed Bazoum abgesetzt. Was wollen die Putschisten erreichen?
Olaf Bernau: Wo sie hinwollen, ist nicht klar. Die neuen Machthaber haben noch nicht gesagt, was sie anders oder besser machen wollen. Den offiziell vorgetragenen Grund für den Putsch - die sich verschlechternde Sicherheitslage - halte ich für wenig plausibel. Wahrscheinlicher ist, dass der Chef der Präsidentengarde, Abdourahamane Tiani, Angst vor seiner Absetzung hatte. Bazoum hat zudem zugelassen, dass auch hohe Militärs gerichtlich verurteilt werden. Es spricht vieles für eine allgemeine Unzufriedenheit des Militärs mit der politischen Führung.
epd: Wie wird der Putsch in der Bevölkerung aufgenommen?
Bernau: Grundsätzlich gibt es gerade unter jungen Menschen eine große Frustration wegen der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit. Anders als in Mali haben wir vor dem Putsch im Niger aber keine Massenproteste mit Zehntausenden Teilnehmern gesehen. Es gab keine Aufbruchsstimmung, anders als sein Vorgänger genoss Präsident Bazoum zumindest einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung.
epd: Trotzdem sind Tausende Menschen auf die Straße gegangen und haben ihre Unterstützung für die Militärregierung ausgedrückt. Wie ist das zu erklären?
Bernau: Die Proteste in der Hauptstadt Niamey haben eher mit der allgemeinen Unzufriedenheit zu tun. Hinzu kommt eine kritische Stimmung gegenüber Frankreich, die im Kern durchaus nachvollziehbar ist und sich auch in Burkina Faso und Mali entwickelt hat. Diese Karte haben die Militärs von Beginn an gespielt, weil sie wissen, dass sie so Rückhalt bekommen können. Dabei kommen zunehmend übersteigerter Patriotismus und Verschwörungserzählungen zum Tragen.
epd: Sie stehen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen im Niger in Kontakt, waren zuletzt im Februar im Land. Was wünschen sich die Menschen vor Ort?
Bernau: Sie wollen, dass sich etwas grundlegend ändert, der Wunsch nach einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und einer nicht korrupten politischen Führung ist sehr stark. Bei meinen Gesprächen wurde ein Putsch jedoch nicht befürwortet, es ging vielmehr um einen Wandel von unten.
epd: International ist mit harschen Sanktionen auf den Putsch reagiert worden. Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas droht sogar mit dem Einsatz von Gewalt. Was bedeutet das für das Land?
Bernau: Die Wirtschaftssanktionen von Ecowas werden die ökonomische Krise weiter verschärfen. Wenn die Bevölkerung sich bestraft sieht, könnte das auch den Putschisten Aufwind geben. Genau das scheint derzeit zu passieren, selbst Vertreter der Zivilgesellschaft hoffen, dass die Putschisten die Forderungen der Straße übernehmen könnten. Eine allgemeine Verschlechterung der Lage ist auch Wasser auf die Mühlen dschihadistischer Gruppen, die jede Schwäche ausnutzen.
epd: Befürchten Sie eine militärische Eskalation zwischen Niger und den anderen Ecowas-Mitgliedstaaten?
Bernau: Es bleibt zu hoffen, dass es sich seitens Ecowas um eine Drohgebärde handelt.
epd: Wie ist die harsche Reaktion zu erklären?
Bernau: Die Regierungen der Ecowas-Mitgliedstaaten haben Sorge, dass Putsche weiter Schule machen könnten. In vielen der Länder herrscht große Unzufriedenheit. Das Paradoxe ist, dass die Regierungsvertreter Demokratie propagieren, obwohl in ihren eigenen Ländern oft nicht wirklich demokratische Verhältnisse herrschen.
epd: Die EU und auch die Bundesregierung haben die Bemühungen von Ecowas ausdrücklich begrüßt. Ist das der richtige Ansatz?
Bernau: Grundsätzlich ist die Stärkung afrikanischer Regionalorganisationen ein richtiger Schritt. Zugleich bilden solche Zusammenschlüsse oft nur den Willen der Eliten in den jeweiligen Ländern ab. Es bedarf eines differenzierteren Instrumentariums. Sanktionen, Gewaltandrohungen oder der Stopp entwicklungspolitischer Maßnahmen haben eher kontraproduktive Effekte.
epd: In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von Putschen in den Sahel-Staaten. Auch die Bundesregierung hat auf den Niger als Stabilitätsanker gesetzt. Ist die Sahel-Politik des Westens gescheitert?
Bernau: Der Westen hat zumindest nicht zugehört. Es war klar, dass die Menschen im Niger mit dem Status quo unzufrieden waren. Dass dann mit der Einleitung des Abzugs der UN-Mission aus Mali der Niger zum Stabilitätsanker erklärt wurde, war eine Projektion und Ausdruck eigener Interessen. Mit der Realität der Bevölkerung hatte das nichts zu tun.