Viersen (epd). Nach der Räumung eines Kirchenasyls im nordrhein-westfälischen Nettetal gibt es Kritik am Verhalten der Ausländerbehörde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) sprach von einem einmaligen Vorgang. „Wir sind überrascht. Es gibt eine Vereinbarung zwischen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Räumungen eigentlich ausschließt“, sagte Dieter Müller, stellvertretender Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft, am Freitag dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Zuletzt sei ein Kirchenasyl im Jahr 2014 in Augsburg beendet worden. Dieser Fall habe schließlich zu der Vereinbarung geführt, erläuterte er. Flüchtlinge im Kirchenasyl erhalten demnach eine Duldung, Kirchengemeinden müssen für jeden Fall ein Dossier beim Bundesamt einreichen. Wird die erneute Prüfung des Falls negativ beschieden, verlieren die Flüchtlinge ihren Aufenthaltsstatus. Doch auch dann gebe es keine Räumungen von Kirchenasylen, sagte Müller. Die Bundesarbeitsgemeinschaft forderte eine gründliche Aufarbeitung dieses behördlichen Vorgehens.
Das aus dem Irak stammende Ehepaar war am frühen Montagmorgen während einer unangekündigten Hausdurchsuchung im Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde Lobberich-Hinsbeck in Nettetal festgenommen worden. Die Ausländerbehörde in Viersen war aktiv geworden, weil das Paar dort zuletzt gemeldet war. Der anschließende Versuch, das Ehepaar vom Flughafen Düsseldorf nach Polen zu überstellen, sei jedoch von der Bundespolizei abgebrochen worden, weil die Frau einen Zusammenbruch erlitten habe.
Das Paar befindet sich nach Angaben der Stadt Viersen nun in der Abschiebehaftanstalt Darmstadt. Es war 2021 aus dem Irak geflohen und lebte seit Ende Mai 2023 im Kirchenasyl. Die Stadt Viersen erklärte am Freitag, die Überstellung nach Polen werde vorerst weiter betrieben. Der Anwalt des Ehepaares hat nach Angaben des Netzwerks Asyl in der Kirche NRW einen Eilantrag eingereicht, um die Überstellung zu verhindern.
Wie die rheinische Landeskirche und das Netzwerk Asyl in der Kirche NRW mitteilten, hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ein Dossier abgelehnt, das normalerweise in Kirchenasylfällen für die Einzelfallprüfung vorgelegt werden muss. Grund dafür sei, dass ein früheres Asylverfahren noch nicht vollständig abgeschlossen sei. Das Paar fällt demnach unter die sogenannten Dublin-Verfahren, die vorsehen, dass Flüchtlinge, die über ein sicheres Drittland einreisen, dort auch ihren Asylantrag stellen müssen. Das Paar war über Belarus nach Polen in die EU eingereist und war bereits einmal nach Polen zurückgeführt worden.
Dass kein Dossier beim Bundesamt eingereicht worden sei, sei jedoch kein Grund für die Räumung des Kirchenasyls, sagte Rafael Nikodemus, Beauftragter für Flucht und Migration der Landeskirche, dem epd. Die Kirchen hätten mit dem Land NRW zusätzlich zu der Vereinbarung mit dem Bamf eine entsprechende Übereinkunft. Die Räumung entspreche nicht den üblichen „Spielregeln“, sagte Nikodemus, auch weil sie ohne vorherige Kontaktaufnahme mit der Kirchengemeinde erfolgt sei.
Bei einem Kirchenasyl gewährt eine Kirchengemeinde von Abschiebung bedrohten Geflüchteten einen zeitlich befristeten Schutz. Ziel ist es, eine erneute sorgfältige Prüfung ihrer Situation zu erreichen. Der Staat toleriert das Kirchenasyl, allerdings kann er von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen, um Betroffene abzuschieben.