Rechtsextremismus-Experte warnt Demokraten vor zu viel Streit

Rechtsextremismus-Experte warnt Demokraten vor zu viel Streit
02.07.2023
epd
epd-Gespräch: Daniel Staffen-Quandt

Bad Alexandersbad (epd). Der Rechtsextremismus-Experte Martin Becher macht für das starke Abschneiden extrem rechter Parteien wie der AfD auch den teils respektlosen Umgang der demokratischen Parteien untereinander verantwortlich. So hätten etwa die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP, aber auch CDU/CSU, „bisher nicht auf dem Schirm, dass ihre öffentlichen Streitereien noch nicht einmal Nullsummenspiele sind“, erläuterte der Geschäftsführer des „Bayerischen Bündnisses für Toleranz - Demokratie und Menschenwürde schützen“. Die demokratischen Parteien nähmen sich nicht in erster Linie gegenseitig Stimmenanteile ab, sondern trieben die Wähler ins nichtdemokratische Spektrum.

Natürlich gehörten Streit und inhaltliche Auseinandersetzungen zum politischen Tagesgeschäft - aber für zahlreiche Menschen seien solche Debatten offenbar zu viel. „Auch, weil unsere Gesellschaft heute mit vielen Zumutungen zurechtkommen muss, die es früher nicht gab“, sagte Becher. Die zunehmende Selbstbezogenheit auf sich und die eigene Gruppe spiele eine Rolle: „Letztlich dreht sich für viele Menschen fast alles um ihren eigenen Mikrokosmos und um ihre eigenen Gefühlslagen.“ Hier komme man mit rationalen Argumenten nicht weiter. Ein wichtiger Beitrag zur Lösung wäre für ihn „ein Konservatismus, der weiß, wofür er steht, und sich nicht nur durch Abgrenzung definiert, sowie ein Zusammenspiel von progressiven und konservativen demokratischen Kräften gegen rechtsaußen“.

Kontraproduktiv sei es, wenn nun Politiker wie nach der Wahl des ersten AfD-Landrats vor wenigen Tagen im thüringischen Sonnenberg fordern, mehr Verständnis für die Probleme der AfD-Wählerinnen und -Wähler zu zeigen. Solche Aussagen bedeuteten unter dem Strich doch nichts anderes als: „Wenn ihr Aufmerksamkeit haben wollt, dann wählt rechte Parteien“, sagte Becher. Dabei sei die wirtschaftliche und soziale Lage beispielsweise in vielen ostdeutschen Städten wesentlich besser als etwa in Ballungsgebieten in Nordrhein-Westfalen, wo es eine höhere Arbeitslosigkeit gerade unter Migranten und eine teils marode Infrastruktur gebe.

Allem Zulauf zu rechten Parteien und extrem rechten Gruppen zum Trotz hält Becher die Demokratie in Deutschland für gefestigt. Die große Mehrheit der Bevölkerung sei nach wie vor bereit, die demokratischen Werte „gegen Angriffe von innen und außen zu verteidigen“, sagte er. Beim Blick auf Europa sei er da weniger optimistisch, dort seien die „Rechtsrucke“ in den vergangenen Jahren teils viel schärfer verlaufen, Rechtsextremisten an der jeweiligen Landesregierung beteiligt gewesen: „Davon sind wir in Deutschland - hoffentlich - noch weit entfernt.“