Frankfurt a.M., Berlin (epd). Nach der Veröffentlichung der hohen Austrittszahlen der katholischen Kirche richtet sich der Blick auf institutionelle Reformen. Der Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Söding, wünschte sich ein höheres Reformtempo. „Die Prozesse sind zu langsam, es gibt zu viele, die bremsen“, sagte der Theologe am Donnerstag im „Morgenmagazin“ des ZDF.
Der Sprecher der katholischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“, Christian Weisner, sieht die Gründe für die Austrittswelle auch in der schleppenden Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Die Kirche arbeite derzeit im Stop-and-go-Verfahren Missbrauchsfälle auf und scheitere daran, die Ursachen von sexualisierter Gewalt entschieden anzugehen. Der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz kritisierte die „Visionslosigkeit“ der Führungsriege.
Am Mittwoch hatte die katholische Deutsche Bischofskonferenz ihre aktuelle Mitgliederstatistik vorgelegt. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg im vergangenen Jahr auf rund 523.000 - ein Rekordwert. Damit nahm die Zahl der Austritte im Vergleich zum Vorjahr um 45,5 Prozent zu. Zusammen mit Sterbefällen verlor die Kirche insgesamt mehr als 700.000 Mitglieder.
Nach Einschätzung des Religionssoziologen Ebertz befindet sich die Kirche in einem Teufelskreis. Die Gründe dafür, dass die Mitglieder in Scharen wegliefen, verstärkten sich gegenseitig und führten zu einer Abwärtsspirale, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Mitgliederschwund beginne mit immer knapper werdenden personellen und finanziellen Ressourcen, wodurch die Qualität der kirchlichen Angebote leide.
Die Führungsriege habe keine positive Idee, wie die Kirche in der Zukunft aussehen solle, sagte Ebertz. Stattdessen bekämpfe man sich gegenseitig auf offener Bühne und spreche sich das Katholischsein ab. Zudem schaffe es die katholische Kirche nicht, die Menschen einzubinden, die ein Interesse an ihren Angeboten haben.
„Wir sind Kirche“-Sprecher Weisner sagte dem epd, die Reformthemen lägen alle auf dem Tisch, die müssten nun angegangen werden. 2019 hatten Bischofskonferenz und Zentralkomitee den sogenannten Synodalen Weg ins Leben gerufen, bei dem Bischöfe und Laien über Wege aus der Vertrauenskrise beraten. Im März fand die vorerst letzte Vollversammlung statt. Mehr als ein Dutzend Beschlüsse wurden gefasst, darunter zur Beteiligung von Laien an Bischofswahlen und an der Leitung von Diözesen.
Zudem soll es ein dauerhaftes Beratungsgremium von Bischöfen und Laien geben. Ein Übergangsgremium, der sogenannte Synodale Ausschuss, soll dafür eine Satzung erarbeiten, doch in der vergangenen Woche verlor der Reformprozess durch ein Veto von vier Bischöfen seine Finanzierung durch die Bischofskonferenz.
ZdK-Vizepräsident Söding äußerte sich dennoch optimistisch, dass der Reformprozess fortgesetzt wird. „Das wird am Geld nicht scheitern“, sagte der Bochumer Theologe. Es sei bedauerlich, dass die Bischofskonferenz an dieser Stelle „verkantet“ sei. „Aber es gibt genügend Reforminitiativen, es gibt eine satte Mehrheit auch bei den Bischöfen, und es gibt ganz starke Bewegungen von der Basis“, betonte er. Diese gelte es miteinander zu verschalten, dann werde sich in der katholischen Kirche auch etwas ändern.