Sonneberg, Berlin (epd). Die erstmalige Wahl eines AfD-Politikers auf einen Landratsposten in Deutschland hat eine Debatte über Konsequenzen ausgelöst. Zugleich macht sich Besorgnis breit. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, nannte das Ergebnis der Stichwahl um das Landratsamt im thüringischen Sonneberg vom Sonntag einen „Dammbruch“.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte im ZDF, die Sonneberger hätten für sich entschieden, „ein Signal an die ganze Republik zu senden, dass ihnen viele Dinge nicht gefallen“. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, wollte das Ergebnis der Landratswahl nicht direkt kommentieren. Er betonte aber, Deutschland sei eine starke Demokratie. Sie sei geprägt von Werten wie Fairness, Toleranz, Anstand und Respekt. Diese Prägung gelte es zu pflegen und Meinungen sachlich auszudiskutieren.
Der AfD-Politiker Robert Sesselmann hatte in der Stichwahl 52,8 Prozent der Stimmen erhalten, sein Gegenkandidat Jürgen Köpper von der CDU unterlag mit 47,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag mit 59,6 Prozent rund zehn Prozentpunkte höher als noch in der ersten Wahlrunde am 11. Juni.
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) zeigte sich bestürzt und gab der Union eine Mitschuld. Dem Berliner „Tagesspiegel“ sagte die Thüringerin: „Wenn Teile der Union einen Kulturkampf ausrufen, muss man sich nicht wundern, wenn dieser Kampf von rechts angenommen wird.“ Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Landrat Reinhard Sager (CDU) leitete aus dem Wahlergebnis einen „großen Ansporn“ für alle anderen Parteien ab, „im politischen Wettstreit überzeugender zu sein“.
Der Publizistin Liane Bednarz zufolge könnte der AfD-Wahlsieg den Weg für weitere Wahlgewinne der Partei bahnen. „Die Wähler sehen nun, dass Stimmen für die AfD keine verlorenen Stimmen sind“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Wahlsieg bei der Landratswahl sei auch ein Signal an Wähler, die mit der Partei sympathisierten, sie aber bislang nicht gewählt hätten, dass die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall für Rechtsextremismus eingestufte AfD eine reale Machtoption habe und zugleich noch salonfähiger geworden sei.
Insgesamt gelte für Politiker, aber auch für die Kirchen, dass die bloße Aufregung über die AfD und Hinweise auf die Einstufung durch den Verfassungsschutz nicht mehr bei den Menschen, die ihr gewogen sind, verfange, sagte Bednarz. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) warnte vor „Sonntagsreden und Schuldzuweisungen“. Stattdessen brauche es einen öffentlichen Diskurs, der von gegenseitiger Akzeptanz geprägt sei, sagte die Regionalbischöfin des Bischofssprengels Erfurt, Friederike Spengler, dem epd in Erfurt.
Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, erklärte auf Twitter, nicht alle, die bei dieser Wahl für den AfD-Kandidaten gestimmt hätten, seien Rechtsextreme und Rassisten. Aber jeder AfD-Wähler habe „wissentlich für eine Partei gestimmt, zu deren Kern Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit gehören“, schrieb der Historiker.