Berlin (epd). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat für sein Pflegereform-Gesetz im Bundestag Kritik von allen Seiten einstecken müssen. Auch aus den Reihen der Ampel-Koalition kamen bei der ersten Beratung am Donnerstag Forderungen nach erheblichen Nachbesserungen. Der Gesetzentwurf sieht Beitragserhöhungen ab Juli dieses Jahres vor. Sie sollen helfen, das Defizit der Pflegeversicherung zu decken. Außerdem soll es Leistungsverbesserungen geben, durch die Heimbewohner und pflegende Angehörige entlastet werden.
Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Maria Klein-Schmeink, kritisierte, das Gesetz komme verspätet. Der langwierige Vorlauf innerhalb der Regierung habe der Reform „nicht gutgetan“, urteilte die Grünen-Politikerin. Sie bezog sich damit auf Interventionen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), denen beispielsweise das im Koalitionsvertrag verabredete Entlastungsbudget für pflegende Angehörige zum Opfer gefallen ist. Klein-Schmeink forderte für die Pflege den „Rückhalt des ganzen Kabinetts“.
Dass die pflegenden Angehörigen im Vordergrund stehen müssten, verlangte auch der Unions-Gesundheitspolitiker Erich Irlstorfer (CSU). Eine Erhöhung des Pflegegeldes und der Sachleistungen für die häusliche Betreuung um fünf Prozent reiche nicht. Die Verbraucherpreise seien seit 2017 um 17 Prozent gestiegen, dem Jahr, in dem das Pflegegeld zuletzt erhöht worden war. Der allergrößte Teil der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland, rund vier von insgesamt fünf Millionen, werden durch Angehörige und Pflegedienste versorgt.
Pflegende Angehörige können nach dem vorliegenden Entwurf zudem erst 2024 mit der Erhöhung des Pflegegeldes und der Sachleistungen rechnen. Die Leistungen sollten eigentlich schon seit dem vergangenen Jahr regelmäßig erhöht werden. Auch Heimbewohner sollen ab 2024 bei den weiter gestiegenen Eigenanteilen etwas stärker unterstützt werden.
Lauterbach verteidigte das Gesetz, räumte aber ein, dass es keine langfristige Lösung für die Sicherung der Pflege bedeute. Es werde mehr Geld gebraucht, weil immer mehr Menschen versorgt und Pflegekräfte besser bezahlt würden. Die geplanten Beitragerhöhungen seien notwendig, um die Ausgabensteigerungen zu decken und das Defizit der Pflegeversicherung auszugleichen. Außerdem würden die Leistungen weiter verbessert, versicherte Lauterbach.
Dem Entwurf zufolge soll der Beitragssatz Anfang Juli von 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens auf 3,4 Prozent steigen, für Kinderlose von 3,4 auf vier Prozent. Eltern mit mehreren Kindern zahlen künftig geringere Beiträge. Damit wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt.
Die Einnahmen der Pflegeversicherung steigen durch die Beitragserhöhungen um 6,6 Milliarden Euro pro Jahr, das sind etwa zehn Prozent des gegenwärtigen Budgets der Pflegeversicherung. In den Coronajahren waren die Ausgaben stark angestiegen. Dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen zufolge betrug das Defizit der Pflegeversicherung zum Jahresende 2022 rund 2,2 Milliarden Euro.
Die Linke kritisierte, Pflege mache arm, egal ob man in der Pflege arbeite, auf Pflege angewiesen sei oder pflegebedürftige Angehörige habe, sagte der pflegepolitische Sprecher der Fraktion, Ates Gürpinar. Die geplanten Beitragserhöhungen träfen zudem vor allem Gering- und Normalverdiener. Wohlhabende seien privat versichert und zahlten weniger.
Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, erklärte, offenbar zweifelten selbst die Fachpolitiker der Koalition an der Reform. Ohne zusätzliche Steuermittel sei die Pflege nicht zu sichern. Allein Inflation und Tarifabschlüsse in diesem Jahr ließen eine zehnprozentige Kostensteigerung erwarten.