Bei der von der Bundesregierung angestrebten Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen sprechen sich Verantwortliche für Finanzen in evangelischer und katholischer Kirche für einen deutlich höheren als den bisher diskutierten Faktor aus. Angesichts der aktuellen und auch historischen Zinsentwicklung müsse man von einem niedrigen Zinssatz von einem Prozent ausgehen, sagte die Direktorin des Zentralbereichs "Ressourcen" im katholischen Bistum Trier, Kirsten Straus, bei einer Fachtagung in Berlin.
Das bedeute, man benötige das Hundertfache der derzeitigen jährlichen Zahlung, um den gleichen Zahlungsstrom zu generieren, erklärte sie. Andernfalls müssten voraussichtlich Leistungen der Kirchen eingespart werden, etwa bei Kitas oder Schulen.
Staatsleistungen erhalten die Kirchen als Entschädigung für die Enteignung kirchlicher Güter und Grundstücke im Zuge der Säkularisierung vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie sind von der Kirchensteuer zu unterscheiden und betragen mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr an evangelische und katholische Kirche.
Im Grundgesetz steht eine aus der Weimarer Reichsverfassung übernommene Verpflichtung zur Ablösung der Staatsleistungen. SPD, Grüne und FDP haben dieses Vorhaben erstmals in einem Koalitionsvertrag vereinbart. Der Bund ist in der Ablöse-Frage zuständig dafür, die Rahmenbedingungen gesetzlich zu verankern. Das Bundesinnenministerium arbeitet derzeit am Entwurf für ein entsprechendes Gesetz. Die Verhandlungen über die konkrete Höhe der Ablösesummen müssten die Länder führen, die die Zahlungen leisten.
Öffentliches Interesse
Ein Gesetzentwurf der damaligen Oppositionsfraktionen von Grünen, FDP und Linken zur Ablösung der Staatsleistungen aus der vergangenen Wahlperiode hatte einen Ablösefaktor von 18,6 genannt. Das sei das Minimum, sagte Jörg Antoine aus dem Dezernat für Finanzmanagement der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Ein Streitpunkt in den aktuellen Verhandlungen zwischen Staat und Kirchen sei, ob die Ablösung politisch "angemessen" oder "äquivalent" erfolgen solle - wobei "äquivalent" bedeute, dass die Kirche durch die Ablösung finanziell nicht schlechter gestellt werde. Folge man dem Äquivalenzprinzip, lande man bei dem von Straus genannten Faktor, sagte Antoine.
Beide diskutierten bei einer von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und der Katholischen Akademie in Berlin veranstalteten Fachtagung zum Thema Kirchenfinanzen, bei der es auch um die Kirchensteuer und die Refinanzierung sozialer Leistungen kirchlicher Wohlfahrtsverbände ging. Der frühere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, sagte, im Thema Finanzen, insbesondere bei den Staatsleistungen, stecke für die Kirchen viel "Verhetzungspotenzial". Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es ein staatliches Interesse an der Arbeit der Kirchen gebe.
Kritischer Blick auf Umgang mit Ressourcen
Groß sei inzwischen die Sorge vor dem Zusammenbruch einer Institution, die zum Zusammenhalt in der Gesellschaft beitrage, sagte Sternberg, der heute Präsident der Kunststiftung NRW ist. Den Kirchen selbst riet er, einen kritischeren Blick auf die eigene Verwaltung zu legen. Es gebe "gigantische Apparate". Das sei verhängnisvoll für eine Kirche, die auf weniger Finanzen und weniger hauptamtliches Personal setzen müsse.
Der Leiter der Finanzabteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Carsten Simmer, plädierte für mehr Mitgliederpflege, um Menschen an die Kirche zu binden. Er schlug vor, dass beispielsweise Pfarrer eine bestimmte Anzahl von Besuchen pro Monat bei Mitgliedern machen, die nicht jeden Sonntag den Gottesdienst besuchen. Simmer verteidigte zudem das System der Kirchensteuer. Sie sei sozial gerecht und, weil sie an die Einkommenssteuer gekoppelt sei, auch demokratisch legitimiert, sagte er.