Essen (epd). Eine neue Studie zu Missbrauchs-Fällen im Bistum Essen hat der Kirchenleitung schwere Versäumnisse bei der Verfolgung der Täter vorgeworfen. Beschuldigte Kleriker seien über Jahrzehnte lediglich auf andere Dienststellen versetzt worden, teilweise auch in andere Bistümer, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Gutachten des Münchner Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP). Bis 2010 habe es außerdem keine Bemühungen seitens des Bistums gegeben, Betroffene von sexualisierter Gewalt zu unterstützen oder zu begleiten, erklärte IPP-Geschäftsführerin Helga Dill.
Insgesamt fanden die Studienautoren in den Unterlagen Hinweise auf 190 Beschuldigte seit der Gründung des Bistums vor 65 Jahren. 226 Betroffene hätten sich gemeldet. Die meisten Taten seien zwischen den 50er und 70er Jahren verübt worden. Es sei jedoch von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Die unzureichende Reaktion auf Verdachtsfälle bis 2010 habe dazu geführt, dass Täter teilweise über Jahrzehnte weiterhin sexualisierte Gewalt ausüben konnten, sagte der Co-Autor der Studie, Malte Täubrich vom Berliner Forschungsinstitut Dissens. Ab 2010 seien Täter zwar bestraft worden. Weiterhin habe es aber kein Konzept für den Umgang mit sexualisierter Gewalt gegeben.
Die sozialwissenschaftliche Studie habe nicht auf die Erhebung neuer Zahlen, sondern auf die Untersuchung der Rahmenbedingungen abgezielt, erklärte Dill. Dabei seien auch erstmals die Folgen der Missbrauchsfälle für die Kirchengemeinden in den Fokus gerückt. Diese hätten die Betroffenen meist ausgegrenzt. Nahezu durchgängig sei es zu Spaltungen gekommen, da sich ein großer Teil der Gemeindemitglieder mit dem beschuldigten Pfarrer solidarisiert habe. Es habe „erhebliches menschliches Leid“ auch auf Gemeindeebene geben. Auch dafür sei die Bistumsleitung mitverantwortlich gewesen, die ihre Informationspflichten gegenüber den Gemeinden vernachlässigt habe.
Die Studie bescheinigt dem Bistum Essen Fortschritte bei Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und Prävention. Dennoch gebe es weiterhin Defizite. So mangele es immer noch an einer klaren Bestimmung sexualisierter Gewalt. Gender- und Inklusionsaspekte würden zu wenig in den Blick genommen, hieß es.
Bischof Franz-Josef Overbeck räumte die jahrzehntelangen Versäumnisse bei der Aufarbeitung der Taten und der Begleitung Betroffener ein. Er kündigte an, die Prävention zu professionalisieren und unbürokratischere Hilfen für die Opfer zu leisten. Bislang wurden laut der Studie rund 1,9 Millionen Euro an die Betroffenen ausgezahlt.