Lüneburg (epd). Die Bewertung von Schülerinnen und Schülern mittels starrer Fachnoten greift nach Ansicht des Bildungsforschers Marc Kleinknecht zu kurz. Individuelle und differenziertere Rückmeldungen brächten die Lernenden deutlich weiter, sagte der Professor für Schulpädagogik und Schulentwicklung der Leuphana Universität Lüneburg dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Das Argument, dass in einigen Fächern keine objektive Bewertung möglich sei, ließ Kleinknecht nicht gelten. Lehrkräfte sollten zunächst messbare und transparente Kriterien definieren, so könnte etwa im Fach Deutsch danach geschaut werden, ob ein Schüler flüssig lesen könne oder ob er Wörter oder ganze Texte verstehe. Genaue Rückmeldungen seien dann für den Lernenden entscheidend. „Auf diese Weise müssen Lehrkräfte die Noten quasi übersetzen können. Auch heute schon.“
Gute Lehrkräfte seien dazu in der Lage, betonte Kleinknecht. „Die geben positives, konkretes Feedback, was jemand kann. Sie geben aber auch kritisches Feedback, das Schülerinnen und Schülern hilft, sich selbst zu verbessern.“ Kinder und Jugendliche seien so eher in der Lage, die nächste schulische Hürde zu erreichen. Außerdem erlaube eine differenzierte Betrachtung den Lernenden eine bessere Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. „Es ist eben etwas anderes, über sich zu behaupten 'Ich kann generell kein Mathe', als zu sagen 'Bruchrechnen klappt ganz gut, aber die Achsenspiegelung habe ich noch nicht ganz verstanden'.“
Zugleich warnte Kleinknecht vor der Zwickmühle aus Förderung und Selektion, die für das deutsche Schulsystem charakteristisch sei. So sei es Lehrkräften kaum möglich, einem Kind in Deutsch eine Eins zu geben, das vielleicht erst vor einem halben Jahr aus einem anderen Land zugewandert sei und die Sprache kaum beherrsche. „In gewissen Punkten mag dieses Kind immense Fortschritte gemacht haben. Die schlechte Note im Zeugnis wird dem allerdings aktuell nicht gerecht.“
So komme es teils trotz großer Förderbemühungen zu Zeugnissen mit vielen schlechten Noten, die für Schülerinnen und Schüler demotivierend seien, sagte Kleinknecht. Die Kinder und Jugendlichen erlebten Frust bis hin zu Depressionen und Burn-out. „Es ist schlimm, dass Zeugnisse dazu führen, dass jedes Halbjahr aufs Neue beratende Telefon-Hotlines einen Boom erleben.“
Kleinknecht warb dafür, die Auswahlentscheidungen beim Übergang zu weiterführenden Schulen zu minimieren und weiter nach hinten zu verlagern. So könne das Fördern mehr in den Mittelpunkt rücken. Politisch sprach er sich in diesem Zusammenhang für einen „Schulfrieden“ aus. Die Politik müsse über Parteigrenzen hinweg nach wissenschaftlich fundierten Lösungen suchen, die „nicht bei der nächsten Wahl sofort wieder kassiert“ werden.