München (epd). Ein Jahr nach der Veröffentlichung des zweiten Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum München und Freising fordert einer der Autoren staatliche Unterstützung bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im kirchlichen Bereich. „Wir haben jetzt so viele Gutachten in Deutschland und weltweit, dass man nicht noch auf die letzte Studie warten muss“, sagte der Münchner Rechtsanwalt Ulrich Wastl der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstag). Er habe „die leise Vermutung“, dass das die Kirche teilweise auch zur Verzögerung einsetze. „Der Staat sollte sich nun einmischen.“
Wastl plädierte zudem für eine unabhängige, von der Kirche finanzierte Ombudsstelle für die Betroffenen. die Erzdiözese München und Freising habe bei der Prävention „durchaus Maßstäbe“ gesetzt, auch habe Erzbischof Kardinal Reinhard Marx verstanden, dass es so nicht weitergehe mit der Kirche. Bei der Aufarbeitung bescheinigte Wastl der Erzdiözese aber noch „Luft nach oben“. Betroffene attestierten Marx eine „zu passive Haltung“. Erzbischof Georg Gänswein, der Privatsekretär des verstorbenen Papstes Benedikt XVI., habe früh versucht, die Münchner Gutachter „in die Schranken zu weisen“, sagte Wastl.
Das Münchner Missbrauchsgutachten war weltweit auf große Resonanz gestoßen, weil es auch die Rolle des früheren Münchner Erzbischofs Kardinal Joseph Ratzinger und späteren Papstes Benedikt beleuchtete. Die Gutachter von der Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) warfen Ratzinger Fehlverhalten in vier Fällen vor. Nach Veröffentlichung des Gutachtens musste Benedikt XVI. eine seiner Aussagen korrigieren. Demnach hatte er 1980 doch an einer entscheidenden Ordinariatssitzung teilgenommen, in der es um den Einsatz eines auffälligen Priesters ging.
Wastl äußerte sich auch zu den Klagen von Betroffenen gegen die katholische Kirche in Köln und Traunstein. Diese seien ein genialer Schachzug, „die Kirche muss jetzt Farbe bekennen“. Es werde offensichtlich, womit die Kirche Probleme habe: Sie müsste sich aktiv auf die Verjährung von Missbrauchstaten berufen. Juristisch sei dies möglich, sagte der Jurist, fügte jedoch hinzu: „Wäre es als moralische Institution nicht sinnvoller, sich gegebenenfalls der Wahrheit und der eigenen Schuld zu stellen?“