Mainz (epd). Verschwörungsmythen sind nach den Worten des Mainzer Sozialpsychologen Roland Imhoff möglicherweise nur eine Rechtfertigung, um das zu tun, was man ohnehin tun wolle. Das könne die Anwendung von Gewalt sein oder auch nur, keine Maske zu tragen. Das sei aber nur eine der möglichen Ursachen dafür, dass Menschen in eine Verschwörungsideologie wie die der „Reichsbürger“ abgleiten, sagte Imhoff dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Wichtig als Motiv sei wohl auch die „Suche nach Bedeutsamkeit“, sagte Imhoff. Demzufolge sind Verschwörungsgläubige und Radikale oft Menschen, die danach streben, jemand zu sein, der in den Augen anderer bedeutend ist. Es gebe einen leichten Zusammenhang mit narzisstischen Persönlichkeitszügen. Persönliche Erlebnisse des Scheiterns könnten dazu führen, per Verschwörungserzählung die Schuld dafür anderen zuzuweisen, erklärte der Sozialpsychologe: „Das kann zum Beispiel eine Herabstufung in der Lohnstufe oder ein Arbeitsplatzverlust sein.“
Am Mittwoch hatten Sicherheitskräfte eine Reihe Verdächtiger festgenommen. Sie sollen aus der „Reichsbürger“-Szene kommen und einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. „Reichsbürger“ glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland kein legitimer Staat sei, sondern dass das Deutsche Reich fortbestehe.
Verschwörungsglaube sei zwar eine notwendige Bedingung, um sich zu radikalisieren, aber keine alleine ausreichende, sagte Imhoff. Leute wie die am Mittwoch Verhafteten seien unter Verschwörungsgläubigen nur eine Minderheit. Es gebe viel mehr Menschen in Deutschland, die für solche Erzählungen offen seien, die aber „nie weiter gehen, als mal auf einer Demo ohne Maske mitzulaufen“, sagte er.
Es gebe zwei Möglichkeiten, wie man mit Verschwörungserzählungen von Verwandten an der Weihnachtstafel umgehen soll, sagte Imhoff: „Wenn ich den Onkel, der sowas erzählt, eigentlich mag, dann lohnt es sich nicht, über Fakten zu streiten.“ Das werde ihn nicht überzeugen.
Besser sei es, „neugierig und wertschätzend nachzufragen, warum er glaubt, was er glaubt“, sagte der Sozialpsychologe. Dann könne man verstehen, was der Auslöser dafür sei. „Und manchmal fällt dem Onkel dann auch auf, dass seine Überzeugungen auf nicht ganz so festem Grund stehen.“
Die zweite Möglichkeit sei, dass das Verhältnis zum Onkel nicht im Vordergrund stehe. Dann solle man ihm durchaus widersprechen, rät Imhoff. Denn wenn Verschwörungsmythen unwidersprochen blieben, verschöben sich Normen, was man behaupten dürfe.