Halle an der Saale (epd). Der Forscher Christoph Butterwegge sieht das Thema Armut mehr im gesellschaftlichen Fokus als früher. Es werde sich jetzt eher damit beschäftigt, „weil nicht mehr nur Randgruppen wie Suchtkranke und Obdachlose betroffen sind, sondern auch die Mittelschicht“, sagte er im Gespräch mit der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Mittwoch). Betroffene gingen an die Öffentlichkeit und versteckten sich nicht mehr.
„In einem reichen Land ist Armut ein Stigma“, erklärte Butterwegge. Hartz-IV-Bezieher würden sozial ausgegrenzt. „Einen Jugendlichen, der im Winter in Sommerkleidung auf dem Schulhof steht, lacht man aus“, sagte er. Bundesweit lebten rund drei Millionen Kinder in einkommensschwachen Familien, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sei die Armut noch stärker ausgeprägt.
„Es ist ein Teufelskreis: Aus armen Kindern werden arme Erwachsene, die wieder arme Kinder bekommen“, so Butterwegge. Dies sei eine dramatische Entwicklung für eine Gesellschaft, da sie sich ihrer Zukunft beraube. Zugenommen habe zuletzt auch das Armutsrisiko bei Senioren.
Die Corona-Pandemie, die Energiekrise und die Inflation bezeichnete Butterwegge als „soziale Brandbeschleuniger“. Zudem breite sich eine versteckte Armut aus, die nicht in Statistiken einfließe. Betroffene lägen knapp über der Armutsrisikoschwelle, litten aber stark unter steigenden Ausgaben: „In der unteren Mittelschicht dürfte sich die Angst vor dem sozialen Abstieg ausbreiten.“