Wer pilgert, sucht und findet sich neu. Im Fall der christlichen Kirchengemeinden in Augsburg-Haunstetten entdeckte man im nahen Wald einen Erinnerungsort: die Schießplatzheide, Mittelpunkt eines über 100 Jahre lang betriebenen Militärschießplatzes. Seit einigen Jahren rücken er und das Unrecht, das dort während der NS-Jahre geschehen ist, wieder ins Gedächtnis. Am Dienstag (25. Oktober) wird ein Denkmal eingeweiht, das an 25 erschossene Menschen erinnern soll.
Diese Einweihung des Erinnerungsortes "Ehemaliger Schießplatz Haunstetten" ist für Jutta Goßner, Vorsitzende des Kulturkreises Haunstetten, das vorläufige Ende einer Erinnerungsarbeit, die vor 30 Jahren begann. Vorläufig, weil Goßner das Thema am liebsten in die Schulen bringen und Führer für den Erinnerungsort ausbilden will. Auf dem Schießplatz, der in der NS-Zeit für Wehrmacht, Messerschmitt AG und Hitlerjugend für Schießübungen diente, wurden auch Hinrichtungen vollzogen.
Vor 30 Jahren wollte "niemand mehr etwas davon wissen", erinnert sich Goßner an die Anfänge ihrer Recherchen. Sie selbst hatte damals eher beiläufig von den Erschießungen an dem Ort erfahren, der erst kurz vorher als Übungsplatz für US-Militär und örtliche Polizei geschlossen worden war und der heute mitten in einem Trinkwasserschutzgebiet liegt. "Junge Leute sind dort wegen Nichtigkeiten erschossen worden", weiß Goßner heute. Die Geschichte der Heide ließ ihr keine Ruhe.
Ab dem Jahr 2018 hatten die Pfarrer der evangelischen Christuskirche, der Freien evangelische Gemeinde Augsburg-Süd, der katholischen Pfarreiengemeinschaft St. Albert-St. Georg und der katholischen Gemeinde St. Pius in der Gegend Pilgerwanderungen unternommen. Auf dem Weg lag auch die Schießplatzheide, "um die sich viele Geschichten ranken, von denen keiner so recht wusste, wie viel Wahrheit an ihnen jeweils dran ist", sagt Christuskirchen-Pfarrer Dirk Dempewolf.
Sterbliche Überreste umgebettet
Lange wusste man nicht, wer auf der Schießplatzheide während der NS-Schreckensherrschaft alles ermordet wurde. Es gebe so etwas wie eine unterschwellige "Opferhierarchie" in den Köpfen vieler, meint Goßner. Gedenken finde in erster Linie statt, wenn die Opfer wegen ihrer sozialen Herkunft oder ihrer Religion ermordet worden seien. Erst ganz am Ende kämen dann ehemalige Soldaten oder Fremdarbeiter in den Sinn, wie sie auf der Schießplatzheide ihr Ende fanden.
Jahrelang hätten Mitglieder des Kulturkreises Archive durchforstet. 2021 kam plötzlich etwas in Gang: Der Münchener Michael Werner Ehrenreich machte auf eine Spur aufmerksam, die zu der auf Genealogie-Forschung spezialisierten Webseite "Ancestry" führte. Dort hatte er eine Seite "Amerika in Augsburg" gefunden, auf der die Namen der 25 Männer verzeichnet waren, deren sterbliche Überreste exhumiert und im Jahr 1951 in die Kriegsgräberstätte Schwabstadl umgebettet wurden.
Zugleich Opfer- und Täterort
"Endlich waren Namen da", erinnert sich Goßner. Genau zum richtigen Zeitpunkt, da die Reste der Anlagen bald verschwinden sollten. Gehör fand sie bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA), die das Areal verwaltet. "Es handelt sich zugleich um einen Opfer- und Täterort", ergänzt Felix Bellaire von der Fachstelle für Erinnerungskultur der Stadt Augsburg. Mit ausschlaggebend für die Einrichtung des Erinnerungsortes war auch die Recherchearbeit von Historiker Robert Dürr.
1884 wurde der Garnisonsschießplatz des 1. Königlich-Bayerischen Armeekorps auf einer Fläche von 72 Hektar errichtet. 1933 begannen die 1923 in Augsburg gegründete, spätere Messerschmitt AG mit der Produktion von Flugzeugen. In dieser Zeit wuchsen Haunstettens Bevölkerung und die Industrie. Aber auch das Konzentrationslager Dachau eröffnete 1943 hier ein Außenlager, das mit zirka 2700 Häftlingen belegt war, bis es im April 1944 durch Bomben der Alliierten zerstört wurde.
"Die Literatur verweist auf rund 50.000 Todesurteile, die während des Zweiten Weltkriegs ausgesprochen und von denen 23.000 vollstreckt wurden", schildert der gebürtige Haunstettener Robert Dürr seine Recherchen - 25 davon zwischen Juni 1940 und Februar 1945 in Haunstetten. Von der Wehrmachtsanstalt in Augsburg aus mussten die Männer rund acht Kilometer bis Haunstetten laufen, begleitet vom Exekutionskommando: "Am helllichten Tag, zwischen 7 und 9 Uhr."
Die Delinquenten, deren Spuren Historiker Dürr verfolgt hatte, seien zwischen 1907 und 1922 geboren worden und stammten aus Altbayern, Schwaben, aber auch aus dem Rheinland, Norddeutschland, aus Oberschlesien, Österreich und sogar Russland. Erschossen wurden nicht nur Soldaten, sondern auch vom Augsburger Sondergericht abgeurteilte Zwangsarbeiter. "Die Gründe für die Todesurteile waren meist nichtige", sagt Dürr. Beispielsweise der "Diebstahl" eines Einmachglases.
Am 28. April 1945 hatten US-amerikanische Streitkräfte Augsburg eingenommen. Nur acht Tage später begannen sie, den Schießplatz in Haunstetten selbst zu nutzen - bis 1983. Seit dem Ende der Nutzung als Übungsplatz holt sich die Natur das Areal zurück. Seit Mai 2020 steht der Schießplatz unter Denkmalschutz. "Das Abbruchmaterial hätte etwa 2.000 Lkw-Ladungen ergeben", rechnet Dürr vor: "Langsam wächst also im Wortsinne Gras über die Geschehnisse an diesem Ort."