Der bewaffnete Konflikt drohe von anderen Krisenherden abzulenken, sagte die Generalsekretärin des LWB, Anne Burghardt, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch in Ländern wie Äthiopien oder Myanmar sei Hilfe weiterhin dringend notwendig.
Befürchten Sie, dass das öffentliche Interesse sich zu stark auf den Krieg in der Ukraine konzentriert und dadurch finanzielle Unterstützung für Hilfe in anderen Krisenherde sinkt?
Anne Burghardt: Das ist in der Tat unsere große Sorge gewesen. Um einige Beispiele zu nennen: Auch während des Krieges in der Ukraine geht der bewaffnete Konflikt in Äthiopien weiter. Oder in Myanmar setzt sich die Unterdrückung und Vertreibung von Minderheiten fort. Hier versuchen wir unseren Förderern klarzumachen, dass auch dort die Hilfe weiterhin angefragt und notwendig ist. Erschwerend kommt gleichzeitig hinzu, dass die Not in der Ukraine mit Sicherheit noch zunehmen wird. Das Land und seine Menschen, egal ob in der Ukraine wie auch als Geflüchtete in den Nachbarländern, werden noch über viele Jahre hinweg unsere Hilfe benötigen.
In welcher Weise beschäftigt der Krieg in der Ukraine den Lutherischen Weltbund konkret?
Burghardt: Gerade arbeiten wir durch unsere Mitgliedskirchen in den Nachbarländern der Ukraine, etwa in Polen, in der Slowakei oder auch Rumänien daran, wie man den ukrainischen Geflüchteten helfen kann. Vor allem nenne ich hier unsere polnische Mitgliedskirche, da gerade Polen momentan mehrere Millionen ukrainische Flüchtlinge beherbergt. Diese Kirche ist eine Minderheitskirche im überwiegend römisch-katholisch geprägten Polen, leistet aber sehr gute diakonische Arbeit. Da unterstützen wir beispielsweise die diakonischen Projekte, die von der polnischen Mitgliedskirche eingereicht worden sind und durch die Gemeinden umgesetzt werden.
Und darüber hinaus?
Burghardt: Wir sind in Polen und zunehmend in der Ukraine selbst auch mit unserem Weltdienst tätig. Gerade gab es beispielsweise Gespräche in der Ukraine, wie der LWB helfen könnte, Luftschutzkeller für Schulen zu bauen. Luftschutzkeller sind eine Bedingung dafür, dass in der Ukraine Schulen wieder öffnen können.
"Gerade gab es Gespräche in der Ukraine, wie der LWB helfen könnte, Luftschutzkeller für Schulen zu bauen."
Der Bau von Luftschutzkellern ist gewöhnlich keine primäre Aufgabe der christlichen Kirchen. Womit erklärt sich dieses Engagement?
Burghardt: Es ist ein Beispiel für die humanitäre Hilfe, die wir leisten. Der Lutherische Weltbund basiert seit seiner Gründung auf vier Säulen. Das sind: Dienst an den Bedürftigen, gemeinsame Anstrengungen in der theologischen Arbeit, gemeinsame Anstrengungen in der ökumenischen Arbeit und missionarische Initiativen. Diese Breite der Aufgaben unter einem Dach, innerhalb einer Organisation, macht den LWB einzigartig. Neben der kirchlichen diakonischen Arbeit - zusammen mit anderen Partnern unterstützen wir beispielsweise auch die diakonische Arbeit unserer kleinen Mitgliedskirche, der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine - sind wir unter sehr schwierigen Bedingungen weltweit tätig.
In welchen Regionen engagiert sich der Weltdienst des LWB?
Burghardt: Der Weltdienst hat 25 Länderprogramme weltweit. Jedes hat lokale Teams und Repräsentanten. Insgesamt sind es rund 8000 Leute, die mit ihrem Engagement 2,5 Millionen Menschen weltweit helfen.
75 Jahre Lutherischer Weltbund, 149 Mitgliedskirchen. Wie international ist der Lutherische Weltbund heute?
Burghardt: Wir sind sogar mehr als nur international. Wir sind global tätig. Unsere Mitgliedskirchen kommen aus 99 Ländern und allen Teilen der Welt. Und das war von Anfang an eine der zentralen Aufgaben des LWB, die Kirchen weltweit zusammenzubringen, aber auch gegenseitige Hilfe sicherzustellen.
Ist das gelungen?
Burghardt: Ich würde sagen, ja, das ist gut gelungen. Wir wurden 1947 im schwedischen Lund gegründet. Zu dieser Zeit war fast jeder sechste Lutheraner auf dieser Welt Flüchtling oder Binnenflüchtling. Oftmals weit weg von der Heimatkirche. Das ist heute kaum noch vorstellbar. Das war einer der wichtigsten Impulse, die zur Gründung des LWB geführt haben - der Wunsch, den Menschen, die ihr zu Hause verlassen sollten oder verlassen mussten, zu helfen. Gleichzeitig spielte der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit mit anderen lutherischen Kirchen eine Rolle.
Wie wurde das umgesetzt?
Burghardt: Schon in den frühen 50er Jahren wurden erste regionale Treffen organisiert. Und so sind evangelische Kirchen zum Beispiel in Afrika oder in Lateinamerika zum ersten Mal zusammengekommen. Später wurden dann auch die interregionalen Beziehungen zwischen den Kirchen entwickelt, sodass wir heute zu einer soliden weltweiten Gemeinschaft zusammengewachsen sind.
"Wir sind heute zu einer soliden weltweiten Gemeinschaft zusammengewachsen."
Miteinander im Gespräch zu sein ist das eine, die gleichen Ziele zu haben, das andere. Wie steht es um die Eintracht innerhalb des Lutherischen Weltbundes?
Burghardt: Es ist richtig, in der heutigen polarisierten Welt scheinen in manchen Fragen die Grenzen nicht so sehr zwischen den Kirchen, sondern durch die Kirchen zu laufen. Aber insgesamt hat der LWB es meines Erachtens gut geschafft, die Kirchen nicht nur ins Gespräch zu bringen, sondern auch zur Zusammenarbeit. Für viele, gerade für kleinere Mitgliedskirchen, also jene Kirchen, die in ihrem Land konfessionell oder religiös eine Minderheit sind, ist der LWB relevant, weil er für sie eine globale Plattform anbietet. Das gilt etwa für viele Mitgliedskirchen in Lateinamerika, auch zum Teil in Ost-Mittel-Europa oder in Asien. Der LWB verschafft auch diesen Kirchen einen Kanal zur globalen Öffentlichkeit.
Wie funktioniert das konkret?
Burghardt: Einerseits bietet die Mitgliedschaft im LWB den kleineren Mitgliedskirchen die Möglichkeit, an der vielfältigen programmatischen Arbeit des LWB teilzuhaben. Ebenfalls erwähnenswert ist die starke Advocacy-Arbeit, die wir im LWB haben. Der Lutherische Weltbund arbeitet eng mit der UN zusammen. Die erstellen regelmäßig den Universal Periodic Review, führen also eine regelmäßige Überprüfung durch, wie es um die Menschenrechte in den einzelnen Staaten bestellt ist. Auch verschiedene Nichtregierungsorganisationen sind eingeladen, dazu beizutragen. Die Kirchen können hier ihrerseits auf die Verletzungen der Menschenrechte in ihren Kontexten aufmerksam machen. Kleine Mitgliedskirchen allein wären damit überfordert.
Wie kommen Sie da ins Spiel?
Burghardt: Der Lutherische Weltbund wird an der Erstellung dieser Berichte beteiligt. Manchmal machen wir die Kirchen überhaupt erst darauf aufmerksam, dass diese Überprüfung für ihr Land ansteht, und fragen rechtzeitig vorher an, ob es Fragen und Themen gibt, die sie ansprechen möchten.