Berlin (epd). In der Debatte um eine gesetzliche Regulierung der Suizidassistenz mahnt der Deutsche Ethikrat beim Gesetzgeber eine sorgfältige Abwägung von Kriterien für diese Form der Sterbehilfe an. In einer am Donnerstag in Berlin vorgestellten Stellungnahme betont das Expertengremium die Bedeutung der freiverantwortlichen Entscheidung. „Es darf nur zu einem freiverantwortlichen Suizid Hilfe geleistet werden“, sagte die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx. Zentral sei es daher, die Voraussetzung für solch eine freie Willensentscheidung zu klären, ergänzte der Rechtsprofessor Helmut Frister. Konkrete Empfehlungen für oder gegen einen der bereits im Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe geben die Experten aber nicht ab.
Die Prüfung der Freiverantwortlichkeit stelle die Weichen dafür, ob dem Selbstbestimmungsrecht oder dem Schutz des Lebens Vorrang gilt, erklärte das Ethikrat-Mitglied Frister. Der Ethikrat warnt dabei vor einem überfrachteten Verfahren. Die Anforderungen an die Prüfung dürften nicht dazu führen, dass sie faktisch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nehmen, hieß es.
Gleichzeitig fordert das Gremium mehr Anstrengungen im Bereich der Suizidprävention, um dem Grundrecht auf Leben gerecht zu werden. Der Respekt vor einem freiverantworteten Suizid dürfe nicht dazu führen, „dass uns Suizide - als Individuen, institutionell oder gesellschaftlich - egal sein dürfen“, sagte Buyx. Mehr als 9.000 Menschen hätten sich 2021 das Leben genommen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, hierbei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Eine bis dahin geltende Regelung, die organisierte Suizidassistenz von Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das Gericht für nicht zulässig. Nun geht es im Bundestag um eine mögliche Folgeregelung. Drei Gruppen mit Abgeordneten verschiedener Fraktionen haben dazu Vorschläge vorgelegt, die unterschiedlich weit gehen etwa bei der Frage der Prüfung und Beratungspflicht bei einem Suizidwunsch.
In seiner 134-seitigen Stellungnahme vermeidet der Ethikrat eine Bewertung der vorliegenden Gesetzentwürfe, über die im Parlament bereits in erster Lesung beraten wurde. Das Gremium habe versucht, „das schwierige Gelände zu kartieren, ohne den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern den letzten Schritt der Rechtsausgestaltung vorzugeben oder gar abzunehmen“, sagte Buyx dem epd. „Die Stellungnahme des Ethikrates weitet den Blick zur Dynamik von Suizidalität insgesamt“, sagte die evangelische Theologin Petra Bahr, die ebenfalls dem Ethikrat angehört, dem epd.
In der Stellungnahme wird deutlich, dass die konkrete rechtliche Regelung auch innerhalb des Ethikrats umstritten ist. In dem 24-köpfigen Experten-Gremium würden „zur moralischen Bewertung von Suizidhandlungen, zur Suizidassistenz und zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts verschiedene Auffassungen vertreten“, heißt es gleich zu Beginn des 134-seitigen Papiers.
Frister erläuterte, einen Dissens gebe es im Ethikrat darüber, ob nur Volljährige Suizidassistenz beanspruchen dürfen, ob auch einem für den Fall einer den freien Willen beeinträchtigenden Krankheit vorher festgelegten Suizidwunsch nachgekommen werden muss und wie weit eine Aufklärungspflicht gehen soll. Dass es die Aufklärung geben muss, ist dagegen Konsens. Die Betroffenen müssten alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte kennen, sagte Frister.
Einigkeit besteht im Rat auch darüber, dass eine psychische Erkrankung das Recht auf Hilfe beim Suizid nicht grundsätzlich ausschließt und Einrichtungen wie Pflegeheime transparent machen sollten, wie sie mit Suizidwünschen umgehen. Es gebe keine Pflicht, Suizidassistenz anzubieten, erläuterte der katholische Theologe Andreas Lob-Hüdepohl. Einrichtungen dürften sie zugleich aber auch nicht verwehren oder verunmöglichen, dass es innerhalb oder außerhalb einer Einrichtung dazu kommt. Dieses „Mindestmaß“ gelte auch für kirchliche Einrichtungen, sagte er.