Düsseldorf (epd). Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider fordert mit Blick auf die drastisch steigenden Verbraucherpreise mehr gezielte Entlastung für „Leute, die schlecht über die Runden kommen“. Pauschalsysteme, von denen alle profitieren, seien zwar leichter umsetzbar, sie schafften aber neue Ungerechtigkeiten, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es brauche zudem insgesamt mehr sozialen Ausgleich. Schneider war von 2010 bis 2014 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), von 2003 bis 2013 stand er als Präses an der Spitze der Evangelischen Kirche im Rheinland. Am Samstag wird er 75 Jahre alt.
„Es ist eine falsche Entwicklung, wenn in der Mineralölindustrie die Gewinne explodieren und sich die Kapitalbesitzer und Anteilseigner eine goldene Nase verdienen und dennoch staatliche Gelder abschöpfen“, kritisierte der Theologe. „Vielfach ist der Kompass abhandengekommen, der am Zusammenhalt der Gesellschaft und an Gerechtigkeit für die sogenannten kleinen Leute orientiert ist.“ Einkommen aus Kapital werde schonend besteuert, während Einkommen aus Arbeit die Hauptlast der Steuern trage. „Ich hoffe, dass wir mit dem Bürgergeld der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land ein Stück weit näherkommen“, sagte Schneider.
Die sozialen Unterschiede seien in den vergangenen 20 Jahren gewachsen, beklagt der in einer Duisburger Arbeitersiedlung aufgewachsene Theologe, der heute mit seiner Frau Anne in Essen wohnt: „Wir sind nicht mehr die Spitzennation in Sachen Sozialstaatlichkeit, sondern abgerutscht ins Mittelfeld.“ Das liege auch an falschen politischen Entscheidungen.
So sei Wettbewerbsfähigkeit gegen sozialen Ausgleich ausgespielt worden. „Hier rächt sich auch eine Ideologie des schlanken Staates“, sagte Schneider. „Auch dass Steuern nicht erhöht werden dürfen, ist für mich ein fataler Glaubenssatz.“ Von einer solchen Politik profitiere vor allem eine kleine Zahl von Vermögenden. Die große Zahl der Menschen im mittleren und unteren Bereich der Gesellschaft hätten dagegen die Lasten zu tragen.
Für die Kirche wünscht sich Schneider, dass sie „Diakonie und politisches Engagement nicht aufgibt und mitten in der Gesellschaft verwurzelt bleibt“. Zwar hätten die Kirchen wegen des Rückgangs an personellen und finanziellen Möglichkeiten und des Vertrauensverlusts durch Missbrauchsskandale nicht mehr dasselbe Gewicht wie noch vor wenigen Jahren. Er hoffe aber, dass es gelinge, „Volkskirche im besten Sinne“ durchzuhalten: „eine Kirche, die den Glauben im Alltag lebt und dabei die gesellschaftliche Verantwortung des christlichen Glaubens sieht und realisiert“.