Mindestens 100 Euro monatlich für mindestens ein halbes Jahr hätten den Vorteil, dass man nicht enorm viel Geld für aufwendige Berechnungen und Einzelfallprüfungen ausgeben müsse, sagte der frühere Düsseldorfer Superintendent dem Bremer "Kurier am Sonntag". "Von Ankündigungen kann keiner leben, es müssen erst einmal Taten folgen."
"Mit 100 Euro pro Monat könnte man die Belastungen durch die Inflation und die Energiekrise bei den 20 Prozent der einkommensschwächsten Menschen in Deutschland auffangen", sagte der Präsident der Diakonie Deutschland. "Bei den untersten zehn Prozent zu 100 Prozent und bei den zehn Prozent darüber bliebe eine verkraftbare Belastung von zwei Prozent." Lilie warnte davor, dass in der Unterstützung bis zum Jahreswechsel nichts passiert: "Dann hängen die Menschen ein halbes Jahr im Nichts und müssen überlegen, ob sie weniger essen oder frieren wollen."
Es gehe nicht nur um Menschen, die bereits Transferleistungen bezögen, sondern auch um Geringverdiener, Aufstocker und Leute mit kleinen Renten. "Wir müssen alles dafür tun, dass diese Menschen nicht den Eindruck gewinnen, dass sie zu den politisch Verlassenen gehören."
So sei die Wahlbeteiligung in Nordrhein-Westfalen in den Wahlbezirken dramatisch niedrig gewesen, in denen die meisten politischen, sozialen und kulturellen Konflikte ausgetragen würden: "Viele Menschen dort haben das Gefühl, sie kommen nicht mehr vor." Politik und Zivilgesellschaft müssten beweisen, dass Deutschland eine offene und sozial gerechte Gesellschaft sei, in der gelte, was der Bundeskanzler gesagt habe, nämlich dass niemand allein gelassen werde.
Lilie besucht Projekte und Einrichtungen
Lilie startet an diesem Montag (22. August) eine Sommerreise zum Thema Einsamkeit durch mehrere Bundesländer. Nach einem Auftakt in Bremen will er nach Angaben der Diakonie Deutschland über vier Tage Projekte und Einrichtungen in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern besuchen, um mit Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten über ihre Erfahrungen mit Einsamkeit zu sprechen.
Nicht jede Einsamkeit führe zu Leid - doch wenn sie als belastend empfunden werde, könne sie krank machen, hieß es. So solle es auch um die Frage gehen, wie Gesellschaft, Politik, Kommunen, Kirche und Diakonie von ungewollter Einsamkeit Betroffene aufspüren und sie unterstützen könnten. Lilie hat zusammen mit dem Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, unter dem Titel "Für sich sein - ein Atlas der Einsamkeiten" ein Buch zum Thema geschrieben.
In Bremen will Lilie zunächst eine diakonische Einrichtung für wohnungslose Frauen sowie ein integratives Kunstprojekt für Geflüchtete besuchen und an einer öffentlichen Diskussion teilnehmen. Im weiteren Verlauf seiner Reise stehen bis Donnerstag (25. August) in Hamburg, Schwerin und Parchim viele Gespräche mit Menschen unterschiedlichen Alters auf seinem Besuchsprogramm. So will er unter anderem Alleinerziehende, Schülerinnen und Schüler, alte und alleinlebende Menschen sowie Seeleute und Führungskräfte treffen.