Frankfurt a.M. (epd). Bei der jüngsten Rettungsaktion der „Geo Barents“ sind mindestens 30 Menschen ertrunken, darunter acht Kinder. Nach Aussagen der Hebamme Stefanie Hofstetter ist es die pure Verzweiflung, die Frauen dazu führt, ihre Kinder dem Risiko einer solchen Überfahrt auszusetzen. „Die Frauen, die wir an Bord haben, sagen, sie haben eigentlich keine andere Wahl“, sagte Hofstetter, die das medizinische Team der „Geo Barents“ leitet, dem Evangelischen Pressedienst (epd) nach der dramatischen Rettung vom Montag. „Sie werden in ihren Heimatländern verfolgt.“ Sie flöhen vor Zwangsverheiratung, sexualisierter Gewalt oder Gewalt in der Ehe. Ein großes Thema sei auch Genitalverstümmelung. „Sie verlassen ihr Land mit ihren Mädchen, weil sie sagen, sie wollen nicht, dass das ihrem Kind passiert.“
Hofstetter arbeitet für die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, die die „Geo Barents“ betreibt. „Die meisten Frauen haben mehrfach sexualisierte Gewalt erlebt, in ihren Heimatländern, aber besonders auch in Libyen.“ Aber auch Männer erlitten dort derartige Misshandlungen. In den libyschen Internierungslagern für Geflohene herrschen laut Menschenrechtsorganisationen unfassbare Zustände. Folter und Gewalt sind an der Tagesordnung. Besonders Frauen und Kinder auf der Flucht sind auf den Straßen jederzeit in Gefahr. „Die Frauen sagen, sie gehen lieber mit ihrem Kind in so ein Boot und haben die Hoffnung, dass sie dadurch ein besseres Leben erreichen, als dass sie in Libyen bleiben oder in ihrem Heimatland und dem Kind passiert so etwas“, erläutert Hofstetter.
Am Montag hatte die Besatzung der „Geo Barents“ ein kaputtes Schlauchboot gefunden, dessen Insassen alle bereits im Wasser waren. Der Crew gelang die Rettung von 71 Menschen. Doch von den Frauen an Bord haben vier ein Kind im Meer verloren, eine sogar ihre beiden Kinder. Unter den acht Kindern, die nicht gerettet werden konnten, waren drei einjährige Babys. Seitdem hat „Ärzte ohne Grenzen“ mehrfach Italien und Malta um die Zuweisung eines Hafens gebeten, um die traumatisierten Geretteten an Land zu bringen.
Die geretteten Frauen stammen Hofstetter zufolge aus ganz unterschiedlichen Ländern, meist aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara wie Eritrea, Nigeria und Kamerun, aber auch Marokko, Tunesien und Ägypten in Nordafrika und ganz viele auch aus Syrien. „Ich habe sehr großen Respekt vor dem, was uns die Menschen erzählen, was sie erlebt haben und welche Risiken sie eingegangen sind“, sagt die Hebamme, die seit 2018 immer wieder im Mittelmeer im Einsatz ist, seit 2019 als Leiterin eines Teams von vier bis fünf medizinischen Fachkräften.