Berlin (epd). Fast 12.000 Afghaninnen und Afghanen, die eine Aufnahmezusage aus Deutschland haben, warten noch auf eine Evakuierung. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. 11.864 Menschen standen demnach am 10. Juni auf der Liste derer, die noch aus Afghanistan geholt werden sollen - oder einem Nachbarstaat, sofern ihnen die Flucht dorthin gelungen ist. Das ist noch fast ein Drittel derer, die seit der Machtübernahme der Taliban im vergangenen August eine Aufnahmezusage aus Deutschland erhalten haben.
Aufnahmezusagen aus Deutschland gab es seit August 2021 den Angaben nach für 33.263 Menschen aus Afghanistan. 21.399 Afghaninnen und Afghanen wurden seitdem nach Deutschland geholt. Darunter sind rund 3.600 Ortskräfte mit deren Familien, insgesamt knapp 16.800 Menschen. Aufgenommen wurden zudem fast 1.300 Menschen mit Angehörigen, die nach der Machtübernahme der Taliban als besonders gefährdet gelten, weil sie sich für Menschenrechte, Demokratie und westliche Werte eingesetzt haben.
Das Tempo der Evakuierungen nimmt nach Angaben der Linken ab. Bis zum 10. Juni habe es innerhalb rund eines Monats rund 1.000 Evakuierungen gegeben, teilte die fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, unter Berufung auf damals bei der Bundesregierung abgefragte Zahlen mit. Zwischen Ende Februar und Anfang Mai seien noch rund 6.200 Menschen nach Deutschland gebracht worden.
Die Bundesregierung werde absehbar ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban ihr Schutzversprechen nicht umgesetzt haben, alle besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen in Sicherheit zu bringen, erklärte Bünger. Sie kritisierte zudem, es gebe noch immer zu viele Ablehnungen für weitere Menschen in Afghanistan, die nach Deutschland kommen wollen.
Das kritisieren auch Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl und das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte. Bis heute harrten Tausende ehemalige Ortskräfte der Deutschen in Afghanistan aus, lebten in Angst, versteckten sich vor Folter und Morden der Taliban, erklärten sie am Dienstag. Die Organisationen forderten eine Reform des Verfahrens, nach dem Ortskräfte eine Aufnahmezusage nur dann bekommen können, wenn sie bis zu einem bestimmten Stichtag für die Deutschen gearbeitet und eine sogenannte Gefährdungsanzeige gestellt hatten.
Die Linken-Politikerin Bünger kritisierte auch, dass das Bundesinnenministerium bislang kein grünes Licht für geplante Landesaufnahmeprogramme gegeben hat. Diese Entscheidungen seien bislang zurückgestellt, weil noch Entscheidungen zum geplanten Bundesprogramm zur Aufnahme von Afghanen ausstehen, heißt es dazu in der Antwort des Ministeriums auf Büngers Anfrage.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte in dieser Woche angekündigt, dass im Juli Eckpunkte für das Aufnahmeprogramm vorgestellt werden sollen. In der nächsten Woche will der Bundestag zudem eine Enquetekommission zur Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr sowie einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Evakuierungseinsatzes im August 2021 einsetzen. Nach der Machtübernahme der Taliban versuchte die damals eigentlich schon abgezogene Bundeswehr, Deutsche und gefährdete frühere Helfer aus Kabul auszufliegen. Tausende Menschen mussten zurückbleiben, nachdem der Einsatz wegen der brenzligen Sicherheitslage beendet worden war.