Architektin: Kirchen sollen die Stadt der Zukunft aktiv mitgestalten

Architektin: Kirchen sollen die Stadt der Zukunft aktiv mitgestalten
26.05.2022
epd
epd-Gespräch: Julia Pennigsdorf

Hannover (epd). Die Architektin Dilek Ruf appelliert an die Kirchen, sich aktiv und einfallsreich in die Zukunftsgestaltung von städtischen Räumen einzubringen. Auch wenn inzwischen immer häufiger neue Stadtteile ohne eigene Kirche entstünden, so gebe es doch ein großes Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität und Glauben, nach Zusammenkommen und Austausch, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Eine Stadt ist so viel mehr als nur eine Ansammlung von Häusern, Straßen und Funktionen.“ Ruf ist seit März Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) Niedersachsen.

Angesichts von gesellschaftlichen Zukunftsherausforderungen wie Klimawandel, Mobilitätswende, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Integration von geflüchteten Menschen und Demokratiebildung komme dem sogenannten „dritten Ort“, der Mitte eines Quartiers, eine wichtige Bedeutung zu, sagte Ruf. Nachbarschaftliches Miteinander, soziale Interaktion, Verweilen ohne Konsumzwang: „Städte benötigen einen demokratischen Mittelpunkt, einen Ort, an dem sich Menschen begegnen und miteinander diskutieren können.“

Früher sei dieser Mittelpunkt selbstverständlich Kirche, Gemeinde und Marktplatz gewesen. Heute erfüllten auch Kultur- und Bildungseinrichtungen, Museen und Bibliotheken diese Funktion. „Wie sieht der dritte Ort einer Stadt aus? Wie wird er gestaltet? Wer füllt diesen für die Gemeinschaft und den sozialen Zusammenhalt so wichtigen Ort mit Leben?“ Diese Fragen würden zurzeit neu verhandelt, sagte Ruf. „Das ist für die Kirche, die ja ihrerseits ebenfalls einen Transformationsprozess durchläuft, eine große Chance.“

Angesichts des Immobilienbesitzes der Kirchen wünsche sie sich mehr Engagement und Ideen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sagte die Architektin. Es gebe vorbildliche Beispiele, wie die ehemalige evangelisch-lutherische Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover, die heute als Studentenwohnheim genutzt wird. Es gehe aber nicht nur um die würdevolle Nachnutzung von Sakralgebäuden, die angesichts rückläufiger Mitgliederzahlen nicht mehr benötigt werden, sondern auch um andere kirchliche Immobilien, sagte Ruf.

Sie nannte als Beispiele Kindergärten oder Gemeindezentren. Diese seien häufig günstig gelegen und würden nur wenige Stunden des Tages genutzt. „Da kann man doch sinnvolle Ergänzungen finden“, sagte Ruf. So könne sie sich vorstellen, dass auf diesen oft eingeschossigen Gebäuden weitere Stockwerke mit Wohnungen oder mehrgeschossige Ersatzneubauten errichtet werden.