Bremerhaven, Potsdam (epd). Die sibirische Tundra könnte Klimaforschern zufolge aufgrund der Erderwärmung bis Mitte des Jahrtausends fast komplett verschwinden. Die Baumgrenze sibirischer Lärchenwälder verdränge nach und nach die weiten Tundraflächen mit ihrer einzigartigen Fauna und Flora, warnten am Mittwoch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung (AWI) mit Sitz in Bremerhaven. Nach ihrer Studie kann nur „mit ambitioniertem Klimaschutz“ ein Drittel der Tundra gerettet werden.
Das könnte gelingen, wenn durch einen drastischen Rückgang der Treibhausgasemission eine globale Erwärmung um mehr als zwei Grad Celsius im Jahr 2100 nicht überschritten wird. Doch die durchschnittliche Lufttemperatur im hohen Norden ist dem AWI zufolge in den vergangenen 50 Jahren um mehr als zwei Grad Celsius angestiegen und damit viel stärker als in anderen Regionen der Welt.
Dieser Trend werde sich fortsetzen, hieß es. „Die weiten arktischen Tundraflächen in Sibirien und Nordamerika werden massiv zurückgehen, weil sich die Baumgrenze aktuell langsam und in naher Zukunft sehr schnell nach Norden verschiebt“, erklärte die Geoökologin Ulrike Herzschuh, die für das AWI in Potsdam arbeitet.
Im Rahmen der Studie, die im Fachmagazin eLife erschienen ist, hat das Team um Professorin Herzschuh diesen Prozess für die sibirische Tundra im nordöstlichen Russland im Modell simuliert. Das Ergebnis: Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 Kilometern pro Jahrzehnt breitet sich der Lärchenwald nach Norden hin aus. Eva Klebelsberg, Referentin für arktische Regionen bei der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland, kommentierte die Studie mit den Worten, für die sibirische Tundra gehe es mittlerweile „ums nackte Überleben“.
Die Tundra gilt als einzigartiger Lebensraum für Pflanzen, von denen viele nur dort vorkommen. Typische Arten sind die Weiße Silberwurz, Arktischer Mohn und Zwergsträucher wie Weiden und Birken, die sich dadurch auszeichnen, dass sie an die harschen Bedingungen mit nur kurzen Sommern und langen Wintern angepasst sind. Die Tundra beherbergt auch einzigartige Tiere wie Rentiere, Lemminge und Insekten wie die Arktische Hummel.