Erhebliche Teile des kirchlichen Protestantismus seien der Auffassung, man möge lieber auf die rechtserhaltende Gewalt verzichten, kritisierte der Göttinger Jura-Professor. Polemisch gesprochen sei das "Ponyhof-Theologie", die die Errungenschaften einer menschenrechtlich und demokratietheoretisch aufgeklärten reformatorischen Theologie des Politischen zur Seite wische, erklärte er.
Und es sei auch inkonsequent, so Heinig, wenn man bedenke, dass sofortiger ukrainischer Gewaltverzicht nicht in einen gerechten Frieden münden würde, sondern in Kolonialisierung, Unterwerfung und kultureller Auslöschung. "Kirchliche Verlautbarungen, die das nicht klar benennen, sondern schlicht zur Mäßigung 'beider Seiten' aufrufen, wirken deshalb in bedrückender Weise zynisch", kritisierte er.
Auf die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine aufgeworfenen Fragen gebe die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 kaum sinnvolle Antworten, sagte er. Lese man die Denkschrift, falle ins Auge, wie stark sie unter dem Eindruck des Terroranschlags auf das World Trade Center am 11. September 2001 stehe, sagte Heinig. Es gehe um asymmetrische Kriegsführung, Terrorbekämpfung und menschenrechtlich begründete militärische Interventionen. Vor diesem Hintergrund werde der "gerechte Frieden" zur neuen Leitkategorie ausgerufen. "Die Formel diente damals als Kompromissklausel, hinter der sich eine radikalpazifistische Position ebenso stellen konnte wie eine verantwortungsethische", sagte Heinig dem epd.
Nach dem Erscheinen der Denkschrift habe sich die Rede vom "gerechten Frieden" innerkirchlich auf eigenwillige Weise verselbständigt. Wurde damals noch das Völkerrecht hochgehalten, spiele dies jetzt keine Rolle mehr, kritisierte Heinig. "Von legitimer, rechtserhaltender Gewalt will man kirchlicherseits nicht mehr viel wissen. Stattdessen ist die Rede davon, dass man sich im Krieg stets schuldig mache, weshalb dann deutsche Waffenlieferung kritisch bewertet werden", so Heinig. Beispielsweise hatte sich der EKD-Friedensbeauftragte und mitteldeutsche Landesbischof, Friedrich Kramer, wiederholt gegen Waffenlieferungen ausgesprochen.
"Dabei ist es doch nach evangelischem Verständnis gerade das Verstricktsein des Menschen im Bösen, was die rechtserhaltende Gewalt zunächst einmal auf den Plan ruft", betonte Heinig. "Sicherlich: auch bei der Ausübung dieser Gewalt entkommt der Mensch nicht dem möglichen Schuldigwerden." An der Stelle beginne eigentlich erst die Arbeit an einer konkreten Ethik des Politischen, die Kriterien wie ein Übermaßverbot und legitime Ziele wie der "gerechte Frieden" für Gewaltanwendung herausarbeiten müsse.