Rhauderfehn (epd). Mit unfassbar ruhiger Hand tupft Leona Dollase die Spitze einer Stopfnadel in einen kleinen Becher mit Leim und benetzt damit ein millimetergroßes Stück Papier. Dann nimmt sie den Schnipsel mit einer Pinzette auf und platziert ihn auf den halbfertigen Radkasten eines Wohnwagens. Der wiederum ist gerade einmal halb so groß wie ein 20-Cent-Stück. Die Campingstühle und ein Tisch sind bereits fertig und passen auf eine Ein-Cent-Münze. Die im ostfriesischen Rhauderfehn lebende Dollase ist eine Ei-Künstlerin. Auf ausgeblasenen Eiern lässt sie dreidimensionale Welten aus Papier entstehen - sie nennt es Paper-Art.
„Das ist nichts für Grobmotoriker“, sagt Dollase und lacht ansteckend auf. Die 67-jährige Rentnerin mit ihren lockigen grauen Haaren und den Lachfältchen um die Augen hat sich ganz der kunstvollen Verzierung von Eiern verschrieben. Allerdings bemalt sie die zerbrechlichen Hüllen nicht - sie schafft auf ihnen filigrane Fantasie-Szenen. Dampflokomotiven mit ihren Waggons winden sich auf abgestützten Schienen um die Eier in die Höhe. Auf einem Straußenei ruht eine ganze Kirmes samt Kettenkarussell, Riesenrad und Biergarten, gekrönt von einem Maibaum, von dessen Spitze bunte Fähnchen wehen. „Da kann ich mich unendlich weit auslassen“, schwärmt sie. Dafür hat sie an ihrer Kirmes aber auch einen guten Monat gearbeitet.
Dollases Liebe zum Detail zeigt sich bis in die kleinsten Winzigkeiten: Selbst die nur wenige Millimeter großen Topfpflanzen erhalten einzelne Blätter, die sie zuvor mit einem scharfen Bastelmesser zugeschnitten hat. Und wenn die fertige Gießkanne nicht auf das eine Ei passt, dann vielleicht auf das nächste. Verworfen oder abgebrochen hat sie noch keines ihrer Projekte: „Ich mache keine Versuche. Was ich anfange, bringe ich auch zu Ende.“
Auf Dollases Arbeitstisch liegen scharfe Klingen, Pinzetten, schnell trocknender Leim und eine Auswahl unterschiedlich großer ausgeblasener Eier. „Ich arbeite mit fast allen Eiern - vom Straußen-Ei über Gänse-Eier bis zum Tauben-Ei.“ Ihre Welten lässt die gelernte Zahnarzthelferin aus Aquarellpapier entstehen. „Das ist stabil und formbar.“
Woher die kreativen Ideen kommen? „Keine Ahnung“, sagt sie. „Die sind einfach in meinem Kopf. Oft muss ich mir schnell eine Zeichnung machen, weil sonst die nächste Idee kommt, und ich die erste vergesse.“ Darum liegen auf ihrem Nachttisch auch stets Papier und ein Bleistift bereit - für den Fall, dass ihr zu nachtschlafender Zeit wieder einmal eine Idee kommt.
Kaufen können Interessierte die Wunderwelten von Leona Dollase nur auf wenigen Kunsthandwerksmärkten - meist in der Region. Zu aufwändig seien das Packen und die Reise zu den Märkten. Nur manchmal nimmt sie auch Aufträge an, die über ihre Homepage bei ihr eingehen. Allerdings nicht jeden. „Wenn jemand kurz vor Ostern ein größeres Werk pünktlich zum Fest ordert, geht das nicht.“ Kunst brauche eben ihre Zeit. Außerdem fertigt sie nur Unikate: „Kein Ei sieht bei mir aus wie das andere.“
Am Rande des Arbeitstisches harrt bereits das nächste Projekt. Viel will die Künstlerin noch nicht verraten, doch dass es etwas mit Seekarten und Wellen zu tun haben wird, lässt sich schon erahnen. Auf einem Regal thront bereits ein Gänse-Ei samt Hafen - mit Schiffen und Gebäuden, unter denen sich klitzekleine Fische tummeln.